Über das habituell Irrsinnige bei Chefredakteuren  ■ Von Wiglaf Droste

„Wir haben uns gefragt: Warum wird jemand Chef? Was sind das für Leute, die so etwas Unangenehmes freiwillig auf sich nehmen? Wie sind sie beschaffen? Was drängt sie? Ist es die retrospektiv geprägte Illusion, als Autokrat die Zügel in der Hand zu halten? Der naiv-hybride Wunsch, die Welt zum Opfer von Wille & Vorstellung machen zu können? Die Hoffnung auf ein Leben nach Gutsherrenart also? Oder nicht doch die Sehnsucht, sich zum Vollhorst zu machen, sich bis auf die Knochen zu blamieren?“

Mit diesen Fragen eröffnen Ewald Frostig und Oswald Gifter das Vorwort zu ihrem soeben erschienenen Buch Der Majestix-Komplex. Zur Psychopathologie des Zwischenchefs“.Den Untertitel ihrer Abhandlung erklären die beiden Wissenschaftsautoren so: „Am meisten hat uns gewundert, wie statisch und stumpf heute noch am Bild des Chefs festgehalten wird – obwohl doch jedem klar sein müßte, daß es den so längst nicht mehr gibt. Deshalb haben wir den Begriff Zwischenchef gewählt. Er scheint uns passend für das Gros derer, die sich als Entscheidungsträger zwar gebärden, aber ganz genau wissen, wem sie Rechenschaft schulden.“

Der Typus des Zwischenchefs finde sich besonders gern in der Zeitungsbranche, berichten Frostig und Gifter, die Wert darauf legen, „keine Journalisten“ zu sein, sondern „bloß Leute, die ab und zu für Zeitungen schreiben“. Ihr Resümmee fällt entsprechend aus: „Chefredakteur kann nur werden, wer bewiesen hat, daß er es garantiert nicht kann. Oder doch wenigstens – auch Versager müssen oft klein anfangen – alle Voraussetzungen mitbringt, um das in kürzester Zeit beweisen zu können.“ Die Gefahr, mit solchen Thesen längst sperrangelweit offene Türen einzurennen, ist den Wissenschaftlern bewußt. „Daß bei Spiegel, Stern, Woche, SZ, FR, taz usw. außer Wahn nichts zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Deshalb haben wir uns besonders intensiv in Ostdeutschland umgeguckt.“

Auch dort wurden sie fündig: „Das PDS-Parteiblatt Neues Deutschland setzt neue Standards: Jürgen Reents, Pressesprecher und Mund des Parteivorsitzenden Gysi, wurde in exakt dieser Eigenschaft Chefredakteur des ND – dessen vorheriger Chefredakteur Reiner Oschmann umgekehrt zum Pressesprecher von Gysi wurde. Und im Anti-ND-Blatt junge Welt ist sich Chefredakteur Holger Becker nicht zu stupide, im Sportteil des als seins ganz alleins empfundenen Blattes despektierliche Bemerkungen über den Ost-Fußballclub Hansa Rostock ganz persönlich zu entfernen.“

„Was Unsouveränität und Erbärmlichkeit angeht“, schreiben Frostig und Gifter im Schlußkapitel, „haben die ostdeutschen Zwischenchefs längst aufgeholt. Falls sie das überhaupt nötig hatten.“ Einsichtige Chefdelinquenten fanden die Autoren nicht im Leben vor, dafür aber in der von ihnen ohnehin geschätzten Populärkultur. Im Comic „Asterix und die Goten“ schluchzt ein völlig frustrierter General Strategus: „Sie sind alle so dumm, und ich bin ihr Chef!“

„Über die Vieldeutigkeit dieses Satzes“, empfehlen Frostig und Gifter, „könnten die Chefs und Zwischenchefs aller Couleur ganz wunderbar nachdenken. Wenn sie dazu in der Lage wären.“

Springer Verlag Berlin/Heidelberg/New York, 264 Seiten, 45 Mark