Reservat Dogs

Von Außenseitern für Außenseiter: Mit Ben Folds Five kehrt das Sensibelchen in die Rockmusik zurück  ■ Von Thomas Winkler

Hört auf diese Musik. Man muß „The Unauthorized Biography of Reinhold Messner“ hören, um sich nur annähernd eine Vorstellung machen zu können von dem Wagnis, das Ben Folds Five eingehen; um glauben zu können, was sich junge Menschen heutzutage wieder an Pathos trauen; um zu fassen, wie das Piano rollt und die Streicher schwelgen, als gäbe es kein Morgen. Als wäre die Jugend nicht mehr jung, inszeniert sich hier der junge Mann als Sensibelchen und hoffnungsloser Romantiker, ohne das allzu ironisch zu meinen.

Tatsächlich wird wohl genau diese Haltung in einer Stadt wie Chapel Hill, der Heimat von Ben Folds Five und der University of North Carolina, zur Antihaltung, zur Revolte. Vor fünf Jahren, als sich Ben Folds Five gründeten, hatte ihr College-Umfeld noch den Grunge-Kater. 1995, als ihr selbstbetiteltes Debut erschien, war das Jahr des großen Jungs-Showdown zwischen Oasis und Blur. Auf der anderen Seite des großen Wassers aber gestand Sänger, Pianist und Hauptsongschreiber Ben Folds, in seiner Jugend einige wirklich wichtige Neil-Sedaka-Platten besessen zu haben. So wurde der heute 32jährige schnell zum „King of the Geeks“ erklärt, zum König der Außenseiter. Seine Band bestand aus dem Bassisten Robert Sledge und dem Trommler Robert Jessee, erzählte viele lügenhafte Antworten auf die Frage, warum man sich Five nenne und dann nicht zu fünft sei, und weigert sich bis heute, eine Gitarre auch nur anzufassen oder gar mit Elektronik zu experimentieren. Man war, kurz gesagt, so uncool, wie man nur sein konnte damals. „Wenn es Punkrock ist“, hat Ben Folds selbst einmal gesagt, „dann ist es Punkrock für Weicheier.“ Den Leuten aber gefiel's. 5.000 Dollar hatte das Debüt gekostet, und es verkaufte sich mehr als 200.000 mal. In Japan wurden sie schnell richtig groß. Dort findet eine Band namens Tom Collins Nine mit dem Nachspielen von Ben-Folds-Five-Songs ihr Auskommen.

Hier tun sich offensichtlich Leidensgenossen zusammen. Ein früher Schlüsselsong hieß „One Angry Dwarf And Two Hundred Solemn Faces“. In diesem durchaus autobiographischen Werk rächt sich der Prügelknabe aus der Schulzeit, der es inzwischen zu Reichtum und Berühmtheit gebracht hat, auf äußerst unappetitliche Weise an seinen ehemaligen Mitschülern. „If you really want to see me check the papers and the TV“, heißt es da. Und: „Kiss my ass, goodbye“. Man sollte sich nicht täuschen lassen von der Musik: Spätestens in seinen Texten kann Folds ganz schön biestig werden. So handelte ausgerechnet der mittelschwere Hit „Brick“, der Durchbruch in ihrer prüden Heimat, vom Thema Abtreibung. Der Song befand sich auf ihrer zweiten Platte „Whatever and Ever Amen“, die noch mit eher bescheidenen Mitteln im Wohnzimmer von Folds Haus aufgenommen worden war. Für „Reinhold Messner“ hatten sie nun erstmals ausreichend Zeit und Geld zur Verfügung, erzählt Folds. Also: „Make it big“. „Meine Vision von dieser Band war immer, daß die Dinge völlig überproportioniert sein sollten, als wäre der Mix nicht richtig. Der Background-Gesang sollte weh tun.“

Die Vorwürfe kamen schnell. Sie stammten aus den 80ern, waren durchweg männlich und saßen an Klavieren. Tatsächlich werden hier aber mit größtmöglicher Geste nicht etwa Randy Newman oder gar Elton John rehabilitiert, sondern bestenfalls Joe Jackson und seine „Night & Day“-Phase. Und das auch nur manchmal. Zwar hört sich ein Song wie „Your Redneck Past“ ein wenig nach Billy Joel an, aber dessen klugscheißende Besserwisserei könnte Folds nicht ferner liegen. Auch wenn man sich auf der neuen Platte im Vergleich zu den extravaganten, trotz aller Unausgegorenheit glitzernden Vorgängern etwas zurückgenommen und eher auf dezente Eleganz gesetzt hat, gilt doch noch immer, daß „die üblichen Regeln außer Kraft sind“, schon allein, weil es keine alles beherrschende Gitarre gibt. So treten auf: ein Flügelhorn in einem „total Burt Bacharach rip-off“ (Folds); klischeeverseuchter Barjazz; elegischer Monsterrock; einige sehr von sich überzeugte Bläser-Riffs; vielleicht sogar Andrew Lloyd Webber und vor allem: keinerlei Hemmungen.

Trotzdem sehen sich Ben Folds Five als Rockband: „Wir machen keinerlei Konzessionen an das Klavier, wie spielen wie eine normale Gitarrenband.“ Das ist natürlich Quatsch, aber die Frage bleibt weiterhin: Was ist das dann, was Ben Folds Five da machen? Nun, wie gesagt: Man muß es hören.

P.S.: Die Platte bekam ihren Titel, weil die Fake-IDs, mit denen sich Trommler Jessee und seine Freunde in ihrer Jugendzeit illegalerweise den Zutritt zum Alkoholausschank verschafften, auf Reinhold Messner ausgestellt waren. Daß es einen nicht ganz unbekannten Bergsteiger gleichen Namens gibt, erfuhr man erst kürzlich.

Ben Folds Five: „The Unauthorized Biography of Reinhold Messner“ (Epic/Sony)