Auf Rußland zugehen

■ Die „gemeinsame Strategie“ ist erster Schritt einer einheitlichen EU-Außenpolitik und soll Wirtschaft und Demokratie fördern

Der Kanzler ist gerade von der Toilette zurückgekommen. Weit nach zehn Uhr ist es in dieser Mittwochnacht vor Beginn des EU-Gipfels. Herr Schröder, bestürmt ihn eine Fernsehreporterin, ist die deutsche EU-Präsidentschaft ein ganzer, ein halber oder ein Viertelerfolg? „Ich denke nicht in mathematischen Kategorien, sondern in politischen.“

Keine 24 Stunden später sieht es so aus, als könnte Gerhard Schröder ein Erfolg beschert werden, der sich in Zahlen kaum ausdrücken ließe – auch wenn er nur indirekt ein Ergebnis der deutschen Ratspräsidentschaft wäre: Das Wort von einem möglichen Frieden im Kosovo macht unvermutet die Runde auf dem Gipfel.

Ja, der EU-Vermittler und finnische Präsident Martti Ahtisaari habe von Miloevic die Zusage zum Friedensplan der G 8 erhalten, bestätigt Ahtisaaris Außenminister Paavo Lipponen am Donnerstag nachmittag in Köln. Doch Finnen neigen nicht zum Überschwang. „Es ist zu ernst, um jetzt schon mit dem Feiern anzufangen“, sagt Lipponen, während sich sein Präsident auf dem Flug nach Köln befindet. Schröder selbst will den Vermittler am Flughafen abholen. Lipponen warnt vor Euphorie: „Wir müssen uns erst noch rückversichern, ehe wir sagen: Es ist Frieden.“ Die größte Schwierigkeit könnte sogar ganz unabhängig vom Ergebnis der Ahtisaari-Mission auf die EU zukommen. „Wir können nicht mit Serbien verhandeln, solange Miloevic noch an der Macht ist“, zeigte sich der Präsident des Europa-Parlaments Gil Robles überzeugt. Wie soll man zum Aufbau Jugoslawiens mit einem zur Fahndung ausgeschriebenen Kriegsverbrecher kooperieren?

Den ganzen Tag schon schien in Köln die Sonne, doch politisch stand der erste Tag des Gipfels im Schatten des Kosovo-Kriegs. „Es ist möglicherweise das letzte Mal, daß sich die USA derart bei einem Konflikt in Europa engagieren“, hatte Österreichs Außenminister Wolfgang Schüssel erklärt.Der Grund für Schüssels Einschätzung war ein 32-Seiten Dokument der EU, das die Staats- und Regierungschefs gestern offiziell verabschiedeten. Mit ihrer „Gemeinsamen Strategie für Rußland“ wagt sich die EU zum ersten Mal mit einer einheitlichen Außenpolitik auf das diplomatische Parkett. Bedeutsam ist daran nicht so sehr das hehre Ziel einer Unterstützung Rußlands beim Aufbau von Wirtschaft und Demokratie, als vielmehr die Konsequenz für die politischen Entscheidungen innerhalb der EU: In Bezug auf Rußland sind fortan Mehrheitsentscheidungen möglich statt der bisher erforderlichen Einstimmigkeit.

Die hehren Worte zeigen immerhin auch, wie wichtig den EU-Staaten die Wiedergewinnung eines partnerschaftlichen Verhältnisses mit demLand ist.

Die wichtigsten Passagen dieses Dokuments lauten: ... Die Europäische Union hat sich klare strategische Ziele gesetzt: – eine stabile, offene und pluralistische Demokratie in Rußland, die rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet ist und der Untermauerung einer prosperierenden Marktwirtschaft dient, aus der die Menschen in Rußland und in der Europäischen Union gleichermaßen Nutzen ziehen; – Wahrung der Stabilität in Europa, Förderung der weltweiten Sicherheit und Antwort auf die sich dem Kontinent stellenden gemeinsamen Herausforderungen durch verstärkte Zusammenarbeit mit Rußland. ... Die EU und ihre Mitgliedsstaaten bieten an, ihre verschiedenen Erfahrungen mit dem Aufbau moderner Strukturen in Politik, Wirtschaft, Sozialwesen und Verwaltung mit Rußland zu teilen ...

Der Europäische Rat erkennt an, daß die Zukunft Rußlands wesentlicher Bestandteil der Zukunft des Kontinents und für die Europäische Union von strategischem Interesse ist.“ Patrik Schwarz, ergänzende Informationen: dpa