In unserer glitzerdoofen Höhle

■ Vier, die dabei waren, ändern im ZDF einen unhaltbaren Zustand

's ist (immer noch) Krieg, und keiner weiß so recht, wieso, weshalb, warum. Das meint zumindest Volker Panzer, der im ZDF eine kleine Talkbude unterhält: das „Nachtstudio“. Könnte es nicht sein, so Herrn Panzers bange Frage am letzten Mittwoch, daß uns „die Medien“ über den Krieg etwas vormachen: „Was wissen wir wirklich, was da draußen geschieht? Sind wir nicht gefangen in einer glitzerbunten Höhle wie in Platons Gleichnis? Wer von uns war denn auf dem Balkan oder an den anderen Brennpunkten dieser Welt? Und dennoch tun wir so, als wüßten wir Bescheid – an den Stammtischen und in den Stammhirnen.“ Ein unhaltbarer Zustand, gewiß.

Den zu ändern, war Herr Panzer angetreten und hatte „vier Persönlichkeiten“ zur „langen Nacht der Fernsehpioniere“ geladen, „die dabei waren, wenn die Welt den Atem anhielt“: Reinhard Appel, „lange Jahre Chefredakteur des ZDF, jetzt freier Journalist und Tennisspieler“, Lothar Loewe, „Reporter aus Leidenschaft“, Gerd Ruge („Er hat uns die Welt gezeigt ...“) und Peter Scholl-Latour („... und er hat sie uns bis zum heutigen Tag erklärt“). So viel geballte Kompetenz, die mußte doch einfach Licht in unsere düstren Stammlokale bringen.

Tatsächlich? „Mich hat das sehr bedrückt“, näselte Gerd Ruge, „die ersten Wochen, als ich die ersten schwarzen Bomber aufsteigen sah. Aber ich habe auch nicht gesehen, wie man das auf die Dauer vermeiden konnte. Wie man mit Miloevic und wie man mit diesen Vertreibungen anders fertig geworden wäre.“ Lothar Loewe pflichtete bei: „Es ist aber schwer zu sagen, was der Ausweg gewesen wäre; ob es einen anderen Ausweg gegeben hätte, das ist schwierig. Aber man hätte auf dieser Strecke noch andere Methoden anwenden können.“ So so, aha, na ja.

Ähnlich Brisantes hatte Reinhard Appel mitzuteilen: „Im Irak-Krieg, das wirkte ja wie ein Computerspiel. Die Journalisten wurden abgefertigt mit Bildern, die unter Kontrolle der Amerikaner standen. Das war ein Medienkrieg.“ Gewiß doch, prost!

So zog sich die angedrohte lange Nacht weiter in die Länge, wäre da nicht noch Peter Scholl-Latour gewesen. Der sprach mit einem Male etwas, was man so im deutschen Fernsehen schon sehr lange nicht mehr hörte, nämlich Klartext – z. B. zur Berichterstattung der letzten Wochen: „Wir haben eine neue Kategorie von Korrespondenten, den humanitären Korrespondenten. Die Wehleidigkeit als Reportage ... Das ist es doch, verdammt noch mal ... Das wird von der Redaktion so verlangt. Die wollen die mörderische Schnulze.“ Oder zum Unterschied zwischen den Pressekonferenzen im Vietnamkrieg und denen heutzutage: „Ich erinnere mich nur an die Briefings, die nicht so idiotisch waren wie die von Jamie Shea, die von deutschen Journalisten auch noch hochgelobt werden. Dieser Mensch ist unsäglich.“ Und zu den Zukunftsperspektiven auf dem Balkan: „Die Geschichte ist erst am Anfang. Das Kosovo bordet ja schon über nach Mazedonien. Mazedonien ist als Staat nicht mehr zu halten. Und dann reden irgendwelche Idioten davon, Mazedonien in die EU oder Nato aufzunehmen. Es ist hirnrissig. Auch das albanische Problem. Albanien selbst wird von Gangs beherrscht. Die Amerikaner und Europäer sind dabei, Protektorate auf dem Balkan zu errichten, also praktisch Kolonien. Und das, nachdem man die Kolonien in der Dritten Welt Gott sei Dank abgestoßen hat. Was momentan passiert, ist hirnrissig.“

Da rieb man sich die schon mit Schlafsand halb gefüllten Augen und fragte sich: Kann das denn sein? Daß ausgerechnet Scholl-Latour, das alte Frontschwein des deutschen Journalismus, mit einem Male Licht in unsere glitzerdoofe Höhle bringt? Doch nee, zu früh gejuchzt. Denn als man schon am Bildschirm des braven Mannes Hängebacken zärtlich tätscheln wollte, schob er den Satz nach, der von der „Schande Europas“ handelte. Die bestehe darin, „daß die Europäer nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, ihren Hinterhof in Ordnung zu halten“. Ach so, auch dieser verkappte deutsche Offizier hat an dem Krieg bloß auszusetzen, daß ihn die Amis anführen und nicht wir.

Es wurde also wieder dunkel in der Höhle, man konnte wieder dösen. Und hörte noch mit halbem Ohr, wie Herr Panzer fragte, ob die vier Persönlichkeiten ihr Leben als Volksaufklärer so noch einmal führen würden oder eben anders. „Würd' ich noch mal machen“, nuschelte Gerd Ruge. „Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen als den des Journalisten“, meinte Appel. „It was a good life“, dröhnte Peter Scholl-Latour. Und ganz weit entfernt hörte man Lothar Loewe mit einer Stimme sprechen, die, jetzt im Traum, doch deutlich an die von Barney Geröllheimer gemahnte: „Die Fassination, Neuigkeiten zu verbreiten, das finde ich eine großartige Sache. Das ist ein Sssrill! Wenn man das kann.“ Oder will. Schnarch! Christian Y. Schmidt