Plausch unter Pilgern

Wie eine Fata Morgana taucht das alte Spanien aus den Wassern des Guadalquivir: Es sind die Pilger, die alljährlich zu Pfingsten der Madonna von El Rocio huldigen. Irritationen    ■ Von Christel Burghoff

Rosi und Maria, die beiden deutschen Touristinnen, haben sich den idealen Platz gesichert. Sie sitzen unter dem Sonnenschirm einer Strandbar mit bestem Überblick über das Treiben an der Schiffsanlegestelle und bestem Einblick in ihr spezielles Spanienthema. „Great“, murmelt Rosi eins um andere Mal, lauter „klasse Hombres“ und „sexy Señoras“. Rosi, die in die Jahre gekommene Strandschönheit – „ich war mal ein echtes Beachgirl, nie ohne Joint und immer 'nen attraktiven Typ im Blick“ –, sichtet die Ankommenden und sortiert nach erotisch und unerotisch. Unerotisch findet sie kaum jemanden, nur die gedunsenen und aufgedonnerten Matronen, die gedrängt in geschmückten Pferdewagen sitzen. Aber für erotisch hält sie viele. Vor allem die aufrechten, auf ihren Pferden reitenden Señoras, diese geradezu klassischen Flamenco-Schönheiten in ihren farbigen und gerüschten Kleidern. Und natürlich Los Caballeros, Männer in attraktivem Schwarzweiß, mit den Sombreros und mit viel Leder als Beinschutz. „Sauber,“ sagt Rosi, „mir fallen lauter Edelwestern ein.“

Mir auch. Es riecht stark nach Pferd. Und nach Strand und Meer. Die Sonne liegt satt auf der Szenerie. Am Strand lagern massenhaft Menschen, viele picknicken. Junge Pärchen knutschen. Und ich bin irritiert. Ich habe das urbane Torremolinos hinter mir, das schicke Marbella, die golfgegrünte Costa del Sol, die sich spürbar zu einer einzigen großen Stadt auswächst. Modernes Spanien. Und jetzt das: ein Kulturschock. Wie eine Fata Morgana taucht das „alte“ Spanien aus den Wassern des Guadalquivir auf und drängelt sich durch die Lagernden. Es sind Pilger, die wie eh und je ihrer Madonna, der „weißen Taube“ von El Rocio, gehuldigt haben. Sie überqueren auf zwei schaukelnden Fähren den Fluß, der hier, bei Sanlúcar de Barrameda, breit in den Atlantik mündet. Die Schönheiten zu Pferde gehen immer als erste an Land. Alles, was irgendwie fährt – Geländewagen, Pferdekarren, Traktoren –, kommt hinterher. Lauter Gefährte, auf denen sich Matratzen, Kochgeschirr und Campingausrüstungen türmen. Und auf der gegenüberliegenden Flußseite wird es immer mehr: noch mehr Autos, noch mehr Menschen, noch mehr Flamenco-Chic, noch mehr Hüte, noch mehr Leder. Alles will übersetzen.

„Hey, lauter Cowboys,“ tönt Rosi, „que pasa Hombre?“ Der Hombre, den sie meint, scheint mit seinem Pferd verwachsen zu sein. Er ist auffällig ledergewandet. Wie in den allbekannten Western ist sein Beinkleid weit und verziert. Forsch reitet er vom Boot und galoppiert eine Ehrenrunde über den Strand. Und alle gucken zu. Der Mann hat einen markanten Stiernacken, hält sich beinahe bewegungslos im Sattel. Sitzt mal ab, steigt wieder auf, reitet wieder drauflos, holt sich ein Kind mit hinauf. Flüchtig grüßt er Bekannte und bemüht sich um eine Señora hoch zu Pferde.

In Torremolinos sieht man dergleichen bestenfalls als Touristenshow. Man lächelt vielleicht milde über Imponiergehabe und überlieferten Machismo. Und weiß: Es ist Show. Aber dieses Kommen und Gehen und Flirten und Imponieren hier, das ist echt. Oder spielen die auch ein Spiel? Ihre Traditionsshow womöglich?

Maria, die Touristin, zieht gewisse Parallelen zu ihren eigenen Lebensumständen. Sie, die ein „normal glückloses Leben“ mit Kind, Job und Ehe führt, mache es ähnlich wie diese Pilger, wenn sie in ihren Urlaub „pilgert“. Ein Vergleich, der sicher hinkt, aber Maria ist begeistert: „Die ziehen von ganz Spanien aus nach El Rocio und feiern einmal richtig im Jahr. Tagelang.“ Sie spielt ein bißchen den Reiseführer. Sie hat sich informiert, denn ursprünglich wollten die beiden in El Rocio selbst „echtes Spanien erleben“, unter einer Million Pilgern. Die Wallfahrt zur Madonna von El Rocio: das alljährliche Highlight im Leben des andalusischen Normalbürgers, meint Maria. Jedes Jahr zu Pfingsten.

Daß es die „Hermandades“, die Bruderschaften rund um Jerez sind, die jetzt auf dem Heimweg sind und in Sanlúcar übersetzen, erzählt uns eine Frau am Nachbartisch. „Bruderschaften, klar doch!“ murrt Rosi. „Und die Schwesternschaften?“ Maria vermutet das Übliche. „Patriarchalische Verhältnisse.“ Die Frauen spielten die Ausstellungsstücke, und „bei irgend jemandem muß das Imponiergehabe der Machos ja ankommen.“

Maria rekapituliert Wissensbruchstücke, kramt aber ziemlich ratlos nach Informationen. Zur Lebensweise in der andalusischen Provinz etwa oder zur Frauenfrage. Alles Informationen, die sich natürlich in ihrem Kopf nicht auffinden lassen, weil in Reiseführern nichts davon geschrieben steht. „Lebensnah“, sagt sie, „sind diese Dinger wirklich nicht.“

Eigentlich ist es peinlich, wie wenig wir über die hiesigen Verhältnisse wissen. Auch die Religiösität scheint uns fremd. Die beiden halten es ein bißchen mit Edelsteinmagie und neuerdings mit Qi Gong. Aber auch nur deshalb, weil Rosie einen Esoterikurlaub machte und sich auf eine Affäre mit ihrem Meister einließ. „Sind diese Frauen hier nun vom Schicksal geschlagene Mägde oder sind es die reichen Señoras?“ Zwischen Sanlúcar und Jerez liegen große Haciendas auf weitläufigen Weinfeldern. Sanlúcar ist eine Stadt mit zahllosen Bodegas und vielen Weinkellern. Man könnte meinen, daß hier Spanien noch klassisch spanisch und beinahe wie früher ist.

„They pay for it.“ „Ach ja? Wofür?“ Sie zahlten für die Überfahrt, alles müsse organisiert werden, erklären freundliche Spanierinnen. Für den Nationalpark Coto de Donana auf der anderen Flußseite gibt es eine Sondergenehmigung. Normalerweise darf man da nicht hinein. Betreten verboten! Die Damen an den Nachbartischen um uns herum warten wie die meisten anderen am Strand auf ihre zurückkehrenden Angehörigen. Die Stimmung ist super. Wir können uns nicht gut verständigen. Sprachprobleme. Von El Rocio aus sollen die Pilger 40 Kilometer auf ihrer historischen Route bis zur Fähre gezogen sein. Unter den uralten, riesigen Pinien im Park haben sie gerastet. Maria bemerkt spitz: „Das mit den Müllbergen im Nationalpark soll eine echte Sauerei sein. Ich habe gelesen, daß nach diesen Picknicks ganze Räumtrupps unterwegs sind.“

Neue Törtchen werden gebracht. Und noch mehr Café con leche. Und einige Gläser Brandy, die in alten spanischen Lokalen immer gut vollgeschenkt werden. Rosi malt sich aus, wie es wäre, hier einen Weinberg zu bestellen, gemeinsam mit einem dieser „Cowboys“. Statt irgendwann den „Singletod“ zu sterben. Sie fragt sich bloß, wie „diese Typen hier ihre Ladies besteigen.“ „Bin ich für die ein Möbel oder bin ich es nicht?“ In ihrem Leben gab es einmal eine Zeit, da stand die Alternative „Gomera“ zur Diskussion. Der Ex-Lover hatte eine kleine Bananenplantage geerbt. Ihr Blick wird leicht schummrig. Irgendwo in ihrem Kopf muß ein Samba spielen, von Carlos Santana vielleicht. Sie summt vor sich her.

Als Stiernacken an das zehnte Mal über den Strand prescht, steht Rosi auf. „Ich gehe mal ein bißchen auf Tuchfühlung.“ Sie verschwindet in einer der rammelvollen Bars, in denen geklatscht und getanzt wird. Und Maria verguckt sich in das Mädchen, das jetzt hoch zu Pferde als erste von der Fähre reitet. Die Kleine, vielleicht 7 Jahre alt, trägt das klassische Männeroutfit. Schwarze Hose, schwarze Weste, weißes Hemd, Hut. „Mensch, ist die süß!“ Das erste Mädchen ohne puppiges Kleidchen und den Schnickschnack der Rüschen und Schleifchen. „Ist das denn möglich? Dürfen die so etwas jetzt anziehen?“

Wenn man wie ich spanische Verhältnisse nur aus Filmen von Pedro Almodóvar kennt, dann sollte man sich hier raushalten. Ich fühle mich nicht kompetent.

„Macht nichts,“ meint Maria und spricht statt dessen von ihrer „Erleichterung“, El Rocio „vertrödelt“ zu haben. „Stell dir doch mal vor: dieses irre Jungfrauenidol und die Masse begeisterter Menschen, die das anhimmeln. Dieses Rauschhafte daran, ich meine, das kann einen böse mitziehen.“ Sie schaut rüber, zum anderen Flußufer. „Wie ein Sog aus der eigenen Vergangenheit.“