■ China: Trotz Wandels ist keine Demokratisierung in Sicht
: Westliches Wunschdenken

Viele westliche Experten glauben, daß China letztlich nur demokratisch werden kann. In der Tat hat sich die Volksrepublik seit Beginn der Reformpolitik vor zwanzig Jahren von einem totalitären zu einem autoritären System gewandelt. Die Kommunistische Partei hat an Einfluß auf das Leben der Bürger verloren. Deren Freiheit ist trotz anhaltender politischer Kontrolle auch nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung weiter gewachsen.

Viele Beobachter sehen China auf einem Entwicklungsweg, der demjenigen Taiwans ähnelt und dort zur ersten Demokratie auf chinesischem Boden geführt hat. Die einst diktatorisch regierte Insel widerlegt das von Peking benutzte Argument, Demokratie und chinesische Kultur seien unvereinbar. Nach der Devise „Wandel durch Handel“ setzen westliche Politiker auf eine Taiwanisierung der Volksrepublik .

Handel kann in China zu demokratischem Wandel beitragen. Doch ein Automatismus ist das nicht. Der im vergangenen Jahr voreilig gemeldete „Pekinger Frühling“ fand bisher jedenfalls nicht statt. Noch ist nicht entschieden, ob die auf Dorfebene eingeführten Wahlen Schritte zur Demokratisierung sind oder systemstabilisierend. Denn die Kandidaten können sich nur um Ämter bewerben, bei denen sie nicht politisch entscheiden können, sondern nur auf höherer Ebene gefällte Beschlüsse umsetzen müssen.

Wahrscheinlicher als eine Demokratisierung ist ein permanentes Krisenmanagement unter einer noch viele Jahre herrschenden KP. Schon in der Vergangenheit hat sie sich als anpassungsfähiger erwiesen als erwartet. Die chinesische Führung braucht wirtschaftliche Erfolge. Sie sucht nach einem Weg, der die Wirtschaft modernisiert und damit die eigene Herrschaft stärkt. Dies ist so widersprüchlich, daß es kaum funktionieren kann. Erfolgreiche Wirtschaftsreformen legitimieren zwar die kommunistische Herrschaft, unterminieren sie aber zugleich durch die mit den Reformen einhergehenden Freiräume. Nicht zuletzt deshalb ist mit permanenter Instabilität zu rechnen, die noch größer sein wird, sollten die Reformen mißlingen oder ganz ausbleiben. Chinas Probleme sind gewaltig: Die Arbeitslosigkeit steigt, die Korruption grassiert, die Banken sind überschuldet, die Bevölkerung überaltert, die Umweltschäden sind katastrophal. Die Führung sieht die Probleme, doch ist sie aus Gründen der Herrschaftssicherung nur begrenzt handlungsfähig. Die Reformen stecken in einer Sackgasse. Denn anders als vor zwanzig Jahren, als die Auflösung der Volkskommunen einen Produktivitätsschub in der Landwirtschaft freisetzte, wird die jetzt anstehende Reform der maroden Staatsbetriebe Millionen Arbeitskräfte freisetzen. Aus Angst vor sozialen Unruhen hat die Führung das Reformtempo bereits gedrosselt.

Damit sinken die Chancen für den benötigten Wirtschaftserfolg. Zwar ist auch das Szenario eines Zusammbruchs Chinas denkbar – mit katastrophalen Folgen auch für den Rest der Welt. Doch wahrscheinlicher ist, daß China unter anhaltender autoritärer Führung und unter Herausbildung starker regionaler Unterschiede in Politik und Wirtschaft am Rand des Abgrunds vorbeischrammt.

In China glaubt nicht nur die Elite, sondern auch die Bevölkerung daran, daß das Land eine starke Führung braucht. Nicht wenige halten politische Reformen für zu riskant, solange der weitere Erfolg der Wirschaftsreformen nicht gesichert ist. Die traumatischen Erfahrungen mit den westlichen Kolonialmächten und Japan haben zur weitverbreiteten Erkenntnis geführt, daß China nie wieder schwach sein dürfe. Nationalismus und Neokonfuzianismus werden längst von der Führung als Ersatzideologien genutzt. Chinas Führung hat auch begriffen, daß der Westen letztlich weniger an einem demokratischen als eher an einem marktoffenen und außenpolitisch berechenbaren China interessiert ist.

Es könnte Chinas Kommunisten gelingen, sich als Garanten der Stabilität zu verkaufen und sich jenseits des Systemzusammenbruchs durchzuwursteln. Viele Chinesen dürften ein solches Szenario Entwicklungen wie in Rußland oder Indonesien vorziehen. Diese Staaten sind zwar formal demokratisiert, aber weder sind bei ihnen eine Überwindung der wirtschaftlichen Krise noch politisch stabile Verhältnisse absehbar. Sven Hansen