Die zahnlose Alterslobby

Altersdiskriminierung scheint in Europa – zumindest für die Gesetzgeber – kein Thema zu sein. Ganz anders die USA. Aber auch im europäischen Vergleich fällt Deutschland ab   ■  Von Hanne Schweitzer

„Altersdiskriminierung“ ist kein Thema, das auf der gesellschaftspolitischen Agenda der Bundesrepublik einen oberen Rang einnimmt. Nirgendwo sonst ist die politische Lobby älterer Menschen so zahnlos, nirgendwo sonst haben sich alte Leute zu wehrlosen Objekten einer autoritären, restriktiven Wohlfahrts-pflege-Industrie degradieren lassen. Als ob ihnen die Parolen der nationalsozialistischen „Volkspflege“ noch in den Knochen steckten: „Der alte und kranke Volksgenosse wird aber zurückstehen müssen gegenüber jenen anderen, die erbbiologisch wichtiger und daher für die Zukunft des Volkes wertvoller sind.“ (Kotz)

Vergleicht man europäische Gesetze gegen Altersdiskriminierung mit amerikanischen oder australischen, fällt zunächst auf, daß es da nicht viel zu vergleichen gibt. In den Ländern Europas sind solche Gesetze eher selten. Dann überrascht, daß amerikanische Gesetze gegen „ageism“ schon so lange existieren. In weiser Voraussicht der demographischen Entwicklung – deren Folgen von bundesrepublikanischen Politfunktionären standhaft ignoriert werden –, sind durch das amerikanische Antidiskriminierungsgesetz ArbeitnehmerInnen ab 40 besonders geschätzt.

So dürfen seit 1967 Arbeitsangebote in USA keine Alterslimits mehr enthalten, in der Bewerbungsphase macht sich der Arbeitgeber strafbar, wenn er nach dem Alter fragt. Bei Beförderungen, Fortbildungen oder Entlassungen darf das Lebensalter keine Rolle spielen, und 1977 wurde sogar der Zwangsruhestand abgeschafft.

Hingegen Deutschland: „Betriebsleiter zwischen 28 und 40, Vertriebsprofi nicht älter als 40, Gruppenleiterin, am besten 28 bis 35, Teamleiter nicht über 30“. Wehe dem, der über 30 ist und eine Stelle sucht. Altersdiskriminierung fängt in der Zeitung an. Selbst das Bundesverfassungsgericht trägt zur Festigung negativer Altersklischees bei. So bestätigte es das in Niedersachsen und anderen Bundesländern geltende Alterslimit von 65 Jahren für die Bewerbung als Bürgermeister mit der perfiden, weil Alter mit Invalidität und Schwachsinn gleichsetzenden Begründung: Die Altersgrenze diene dem Allgemeinwohl, von einem bestimmten Lebensalter an nähmen krankheitsbedingte Ausfälle zu.

Bei unseren praktischen Nachbarn, den Holländern, wurde 1996 ein nationaler Beschwerdetag durchgeführt. Von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends konnte sich jeder an diesem Tag telefonisch über Altersdiskriminierung beschweren. Und ob die nun jemandem widerfahren war, der 27 oder 87 Jahre auf dem Buckel hatte, das spielte keine Rolle. „Leider ein Erfolg“, titelte der Staatsanzeiger nach dem Beschwerdetag. Die BürgerInnen hatten so massenhaft auf den Aufruf zum Anruf reagiert, daß das Telefonnetz des niederländischen Parlaments zusammengebrochen war. Neunzehntausend HolländerInnen versuchten, Den Haag zu erreichen. Nur fünfzehnhundert kamen durch. Die Auswertung ergab, daß sich zwei Drittel aller Beschwerden auf Altersdiskriminierung im Arbeitsleben bezogen. Mit 46 Prozent am häufigsten klagten die 40- bis 50jährigen (!) über ungleiche Behandlung wegen ihres Alters. Überraschend waren die Klagen aller Anrufer über Altersdiskriminierung im ehrenamtlichen Bereich. Ein weiteres Ergebnis: Menschen über 60 sehen sich plötzlich mit Einschränkungen konfrontiert, die eine vollwertige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unnötig erschweren. Hypotheken können nicht mehr aufgenommen oder erhöht werden, Lehrgänge und Schulungen sind auf jüngere Altersgruppen ausgerichtet, und in den Geschäften oder auf der Straße werden ältere Leute unfreundlich behandelt. Vor allem die ärztliche Versorgung ist für Holländer über 60 eine Quelle der Sorge. Es herrscht die Angst, daß die arbeitende Bevölkerung zu Lasten der Arbeitslosen und Älteren bevorzugt behandelt wird.

„Jeder, der sich in den Niederlanden aufhält, wird in gleichen Angelegenheiten gleich behandelt. Diskriminierung, egal aus welchem Grund, ist nicht erlaubt“, heißt es in der niederländischen Verfassung. Und im Strafgesetzbuch der Niederlande existieren mehrere Paragraphen, die ausschließlich dem Straftatbestand „Diskriminierung“ gewidmet sind. Ein Gesetzentwurf zur Erweiterung dieser Paragraphen um den Straftatbestand „Altersdiskriminierung“, liegt der 2. Kammer des niederländischen Parlaments vor.

Im März letzten Jahres wurde der Code, mit denen sich die MitarbeiterInnen der holländischen Arbeitsverwaltung zur Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung bei der Vermittlung verpflichten, um den Begriff „Alter“ erweitert. Eine eigens für Arbeitsvermittler konzipierte Broschüre listet direkt diskriminierende (ein Älterer paßt nicht ins Team), und indirekt diskriminierende Aussagen auf, wie sie häufig von Arbeitgebern vorgetragen werden und nennt Gegenargumente. Wie in den USA sind Arbeitssuchende ab 40 in Holland jetzt geschätzt.

Obwohl die Bundesrepublik von internationalen Gremien wiederholt aufgefordert wurde, ihre Minderheiten zu schützen, ist das seit 50 Jahren verfassungsrechtlich verankerte Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes noch nicht in einfaches Recht umgesetzt worden. Bis heute existiert „Diskriminierung“ weder im Bürgerlichen noch im Strafgesetzbuch. Einzige Ausnahme: Dem Benachteiligungsverbot von Frauen wurde durch ein eigenes Gesetz Nachdruck verliehen. Selbst in Großbritannien sind ältere Menschen besser vor Diskriminierungen geschützt als hierzulande. So erhielt John Kerrigan, ein früherer Anzeigendirektor, vom Employment Appeals Tribunal, das ist eine Art Schiedsstelle für arbeitsrechtliche Angelegenheiten, 27.000 Pfund Sterling als Entschädigung zugesprochen, weil sein Alter (62) der wichtigste Faktor war, der zu seiner vorzeitigen Entlassung geführt hatte. Mr. Kerrigans Klage basierte auf einer Verordnung gegen unfaire Entlassungen aus dem Jahr 1977 (Unfair Dismissals Act). Diese wurde 1993 (!) ausdrücklich dahingehend ergänzt, daß es illegal ist, jemanden wegen seines Alters zu entlassen. Seit Juni letzten Jahres schreibt die Verordnung zur Gleichbehandlung im Arbeitsleben (Employment Equality Act) vor, daß weder in den Stellenausschreibungen noch in der Bewerbungsphase, bei Fortbildungen, Beförderungen oder Entlassungen das Lebensalter eine Rolle spielen darf. „Diese Verordnung“, so Ann Leahy von der britischen Organisation „Age and Opportunity“, „enthält einige sehr konservative Bewertungen. Am auffälligsten ist, daß Arbeitnehmer über 65 völlig von diesem Schutz ausgenommen sind.“ Britischer Schutz vor Diskriminierung gilt bis ins öffentliche Leben. Die Produktionsrichtlinien der britischen BBC geben detaillierte Hinweise darauf, welche Stereotypen bei der Berichterstattung zu vermeiden sind. Unter der überschrift „Beleidigende oder falsche Klischees“ findet sich etwa der folgende Satz: „Die Programme der BBC sollten Schwarze nicht als Kriminelle kategorisieren, Frauen nicht als Hausfrauen, Behinderte nicht als Opfer, Schwule nicht als Schwächlinge und alte Menschen nicht als unfähig.“

Im Juni 1997 wurde der Amsterdamer Vertrag verabschiedet. Das ist die dritte überarbeitete Fassung des Gründungsvertrags der Europäischen Gemeinschaft. In diesem Vertrag demonstriert der Rat seinen politischen Willen, in den Mitgliedsländern gleiche Lebenschancen anzumahnen. Artikel 13 nennt acht Gründe, die besonders häufig zu Diskriminierung führen: „Das Geschlecht; die Rasse; die ethnische Herkunft; die Religion; die Weltanschauung; eine Behinderung; die sexuelle Orientierung und – zum ersten Mal in europäischen Vertrag: Das Alter.“Wohl als Folge legten im Frühjahr 1998 zwei der im Bundestag vertretenen Parteien dem Bundestag Gesetze gegen Diskriminierung zur Beratung vor. „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Minderheiten vor ungerechtfertigter Benachteiligung und zur Stärkung von Minderheitenrechten“., so nennen die Grünen ihren Entwurf. Als wirksames Mittel gegen sogenannte „Anfeindungen“ betrachten sie das Zivilrecht und hier besonders das Verbandsklagerecht. Der Gesetzentwurf sieht einen Anspruch auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld vor, und zwar in Höhe von mindestens 500 Mark. 500 Mark, nicht 50.000 Dollar wie bei den Amerikanern, oder 10.000 Gulden wie bei den sparsamen Holländern. Großzügiger zeigen sich die Grünen, wenn es um die Überwachung des Gesetzes geht. Dazu soll nämlich nicht nur ein vom Bundestag gewählter Antidiskriminierungs-Beauftragter installiert werden, sondern auch eine Antidiskriminierungskommission eingesetzt werden. Eine ständige, versteht sich. Welche Minderheiten sind es aber nun, denen die Grünen zu mehr Chancengleichheit verhelfen wollen? Im Amsterdamer Vertrag werden acht genannt. Bei den Grünen sind es auch acht, aber nur „Behinderung“ und „sexuelle Identität“ entsprechen dem Wortlaut des Artikel 13. im Amsterdamer Vertrag. Und das „Alter“? Alter als Diskriminierungsgrund fehlt komplett. Den Sozialdemokraten kommt nicht mal das Wort „Diskriminierung“ über die Lippen. Entsprechend heißt ihr Gesetzentwurf: „Gesetz zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes des Artikels 3 Grundgesetz. (Gleichbehandlungsgesetz).“

„Auch heute flammen wieder Ausschreitungswellen aus rechtsradikaler Gesinnung auf, die Menschen gelten, die als fremd oder andersartig wahrgenommen werden.“ „Aufflammende Ausschreitungswellen“, so drastisch beschreibt die SPD-Abgeordnete Margot von Renesse bei der ersten Beratung des „Gleichbehandlungsgesetzes“ den Zustand in diesem Land. Trotzdem plant die SPD nur „niedrigschwellige Maßnahmen“. Nicht mal als Ordnungswidrigkeit will sie Diskriminierung behandelt wissen. Statt dessen: Verbandsklagerecht, Unterlassungsanspruch, Schadenersatz. Und obwohl die Mehrzahl der Parteimitglieder über 50 ist: Alter als Diskriminierungsgrund oder Anlaß für Ungleichbehandlung kommt im Gesetzentwurf der SPD nicht vor.