Press-Schlag
: Zurück ohne Zukunft

■ Trotz ihres Pariser Sieges weiß auch Stefanie Graf, daß ihre Zeit bald vorbei ist

Die Frage, die sich nach dem Endspiel von Roland Garros stellt, ist nicht die nach der Zukunft des Frauentennis. Diese Frage hat Martina Hingis, trotz ihrer Niederlage weiterhin Branchenprimus, bereits in den Tagen zuvor beantwortet: Die Wachablösung habe stattgefunden, hat sie gesagt, und dafür böse Worte vor allem in der deutschen Presse geerntet. Man werde sich in Deutschland auf Dauer daran gewöhnen müssen, hat sie in Schwyzerdütsch empfohlen, daß jemand anderes als Stefanie Graf, zum Beispiel das Produkt der Mutter, Managerin und Trainerin Melanie Molitor, an der Spitze der Weltrangliste stünde. Das bleibt natürlich auch nach dem 6:4, 5:7, 2:6 gegen ebenjene besagte Stefanie Graf weiterhin wahr.

Sehen wir die Sache doch mal so: Ohne diese Wachablösung wäre der Samstag von Paris kein so wundervoller geworden. Ohne diese Wachablösung hätte das Publikum nicht eine Außenseiterin bejubeln können, die ein längst verlorenes Spiel noch herumriß. Ohne diese Wachablösung wäre der Sieg von Graf, die in zwei Wochen 30 Jahre alt werden wird, wohl kaum zum „bei weitem unerwartetsten“ und somit „größten meiner Karriere“ geworden.

Natürlich weiß auch Graf, daß diese Wachablösung nicht rückgängig zu machen ist, auch wenn es im Halbfinale überraschend noch einmal zu einem Klassentreffen mit den Weggefährtinnen Monica Seles und Arantxa Sanchez-Vicario gekommen war. Auch wenn Ion Tiriac glaubt, Graf hätte „das Niveau, noch einmal die Nummer Eins zu werden“, realistischerweise läßt ihr geplagter Körper einen Angriff auf die Spitzenposition von Hingis nicht mehr zu. Die bedrohen bestenfalls Nachwuchskräfte wie die Williams-Schwestern, Amelie Mauresmo und möglicherweise Anna Kournikova.

Graf selbst scheint das wirklichkeitsnah einzuschätzen. „Ich kann absolut nicht begreifen, daß ich gewonnen habe“, kommentierte sie ihrem 22. Grand-Slam-Erfolg und verkündete, dies seien ihre letzten French Open gewesen. Allerdings ließ sie offen, wann sie endgültig aufhören wolle: „Vielleicht lasse ich nächstes Jahr ja nur Roland Garros aus.“

Dem Unternehmen Hingis/Molitor stehen zwar keine sportlichen, aber nach dem peinlichen Psychokrieg, den die 18jährige im Finale anzettelte, möglicherweise wirtschaftliche Probleme ins Haus. Wer will mit einer werben, die nicht verlieren kann? Nun ist andererseits nicht bewiesen, daß man als Weltranglistenerste unbedingt sympathisch sein muß. Schließlich: Wer soll gewinnen gegen eine, die nicht verlieren kann? Thomas Winkler