Das Blut des Piraten ist zu rot

Italiens Radsportfans mögen es nicht glauben, daß nun auch ihr großes Idol Marco Pantani im Dopingsumpf gelandet ist. Sie vermuten ein finsteres Komplott  ■   Aus Rom Werner Raith

Die eiskalte Dusche folgte der Heiligsprechung in nur wenigen Stunden Abstand: „Pirata, t'adoriamo“ hatten Fans gleich dutzendweise auf ihre Transparente bei der Ankunft Marco Pantanis in Madonna di Campiglio geschrieben: Pirat, wir beten dich an. La Repubblica bejubelte den 28jährigen Radrennfahrer – der seinen Spitznamen wegen seines kahlen Schädels und des darüber getragenen Kopftuches erhalten hat – auf der ersten Seite: „Pantani, Giro da leggenda“. Doch wenige Stunden nach dem triumphalen Einzug des Wunder-Radlers bei der drittletzten, der schwersten Bergetappe des Giro d'Italia, war es vorbei mit der Legende.

Als am Abend Gerüchte zu kursieren begannen, einer der Top-Pedaler werde wohl am nächsten Tag nicht mehr mitfahren, konzentrierten sich der Verdacht ausschließlich auf die anderen Mitglieder der Spitzengruppe, Gotti, Heras, Simoni, Jalabert. Auf Pantani, der in seiner Heimat geradezu als Ausgeburt des sauberen Sportlers galt, kam niemand. Doch dann, beim Start am Samstag früh, standen da mit strengen Gesichtern die Kommissare und teilten lapidar mit: „Beim Teilnehmer Pantani, Marco, wurden 52 Prozent Hämatokrit im Blut gefunden. Erlaubt sind nur 50 Prozent. Der Teilnehmer wird daher sofort von jeglichem Wettkampf ausgeschlossen und bleibt für 15 Tage gesperrt.“ Das Rosa Trikot des Spitzenreiters holte sich danach der Italiener Ivan Gotti und trug es gestern auch sicher ins Ziel nach Mailand.

Der Hämatokritwert gibt den Prozentsatz der roten Blutkörperchen im Blut an. Ist dieser Wert stark erhöht, deutet dies auf die Einnahme verbotener Substanzen, insbesondere das Blutdopingmittel EPO hin. Einige Mitfahrer der Pantani-Equipe purzelten im Wortsinne vom Rad, die Mannschaft beschloß sofort den solidarischen Ausstieg. Pantani selbst, noch im Rosa Trikot, hob hilflos die Hände, fuhr sich über seinen glatten Schädel, dann verschwand er. Später drohte er mit totalem Rückzug aus dem Rennsport.

Kommissare und Sportmediziner blieben nicht nur mit einem aufgebrachten Haufen Rennfahrer zurück, sondern auch mit einem wütenden Zuschauervolk, das sich seines letzten Symbols unverdorbener Sportmoral beraubt sah. Vergeblich erklärten die Fachleute, daß der bei Pantani gefundene Hämatokritwert lebensgefährlich sei und er schon deshalb aus dem Rennen genommen werden müsse. Die Fans wollen nicht einsehen, daß man den „Piraten“ wegen „lächerlicher zwei Prozent Überschreitung sperren kann“, wie ein Mannschaftsmitglied barmte, und Ex-Heroen der Zunft wie Moser oder Gismondi rieten, das ganze Medizinerpack doch einfach zum Teufel zu hauen.

Das italienische NOK und der nationale Radsportverband suchen das Beste aus der Situation zu machen. „Alle Welt sieht nun, daß wir die Sache mit dem Doping ernst nehmen“, tönte das Kommuniqué gleich nach Bekanntwerden der Sperre, und im Brustton der Vorreiterrolle werden Pressestimmen speziell aus Frankreich und Deutschland abgekanzelt, die im Vorfeld des Giro mangelnde Kontrollfreudigkeit unterstellt hatten.

Dennoch könnte sich der Fall Pantani als Bumerang erweisen. Die Mannschaftsführung hat ein Gegengutachten der Blutproben in einem vereidigten Labor in Brescia veranlaßt, danach lag der Hämatokritwert bei knapp 48 Prozent. Vorsorglich hat daher der Staatsanwalt von Trient, wo die Blutentnahme stattgefunden hat, nicht nur alle noch verbliebenen Proben beschlagnahmt, sondern auch sämtliche Reagenzien, derer er in den Labors habhaft werden konnte. Es soll festgestellt werden, ob gepanscht wurde, um Pantani aus dem Rennen zu kippen. Und Italien wäre nicht Italien, würde es für das Volk nicht schon seit dem ersten Augenblick feststehen, daß das Ganze sowieso nur ein großes Komplott gegen ihrer Lieblingspedaleur ist.