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Hut ab vor Lothar! Sagt selbst Scholl

Nach seiner soliden Partie beim 6:1 gegen Moldawien und dem Geständnis, nach New York zu wechseln, breitet sich sentimentale Begeisterung um den Fußballnationalspieler Lothar Matthäus aus    ■ Aus Leverkusen Peter Unfried

Ein Wort zu ihm, bitte. Da lächelt Ribbeck. Ein Wort? Wie sollte man ihm in einem Wort gerecht werden? Er war fehlerlos. Er hat die Abwehr organisiert. Hat lange Pässe gespielt. Hat Soli vorgeführt. Ist ja praktisch durch die gegnerischen Reihen getanzt. Und, um das mal aus der Perspektive eines DFB-Trainers zusammenzufassen: „Viel besser kann man nicht spielen.“

Ja, wenn Fußballprofi Lothar Matthäus (38) bei der DFB-Auswahl ist, hat er die Zeit seines Lebens. Alles dreht sich um ihn. Noch mehr, seit er sich entschlossen hat, Land und Leute zu verlassen, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Gestern mittag gab er nach dem Bayern-Training zu, doch einen Vertrag bei den New York Metro Stars unterschrieben zu haben. „Andererseits aber fühlt er sich nach wie vor „verantwortlich“ für seinen Klub Bayern München „und eben auch bei Erich Ribbeck“. Deshalb hat er in New York offensichtlich einen „flexiblen Arbeitsbeginn“ ausgehandelt. Er kommt nicht zu Saisonbeginn, aber möglicherweise zu Weihnachten.

Man könnte denken, der „Trainer beziehungsweise Teamchef“ (Matthäus) des DFB stünde blöd, nackt und sprachlos da, wenn jener Mann sich davonmachte, um dessen Qualitäten und und Defizite er die mittelfristige Zukunftsplanung des deutschen Verbandsfußballs zunächst einmal bis zur EM 2000, sagen wir, modelliert hat. Aber da würde man den pragmatischen Ribbeck verkennen. Dem fällt schon etwas ein, warum das auch etwas Gutes hat.

Ob man tatsächlich nicht viel besser spielen kann, als es Matthäus Freitag abend in seinem 136. DFB-Einsatz tat? Zumindest Lothar Matthäus kann vermutlich nicht viel besser spielen. Es lief wie von selbst: Um den isolierten moldawischen Sturm, bestehend aus Kletschtschenko, bemühte sich Kollege Nowotny.

So konnte Matthäus seinen Arbeitsbereich früh nach vorne verschieben. Er gewann Zweikämpfe, schoß volley aus hundert Metern aufs Tor, spielte in Bedrängnis superraffinierte Kopfballablagen, wurschtelte sich durch wie ein Jeremies. Zeitweise tat er sogar, als starte er noch einmal eines jener großen Soli, die den Ruhm des Weltklassefußballer Matthäus begründeten. Natürlich bricht er so etwas seit vielen Jahren ab und spielt einen Paß. Aber dann springt immer noch ein Tor raus. Tatsächlich machte Matthäus Bierhoffs Treffer zum 1:0 und 4:0, sowie Kirstens 2:0. Und als die Leute „Auf geht's Lothar, schieß ein Tor“ johlten, hätte er ihnen die Freude fast auch noch gemacht.

Es ist halt ein Unterschied, ob Matthäus bei Bayern München seine Teilzeitarbeit macht oder für den DFB den ganzen Laden schmeißt – und Erich Ribbeck vergißt nie, darauf hinzuweisen. Als es für Matthäus' Körper in der Halbzeit eng wurde, verweigerte Ribbeck die Kooperation und befahl dem Spieler bzw. bat ihn, sich „hinten reinzustellen“. Klar: Es stand schließlich erst 3:0, gegen Moldawien, da konnte es noch eng werden. Wer das nicht als Kontrapunkt zu Hitzfelds Auswechslung in Barcelona versteht, liegt schief.

Natürlich standen einige auf, als Matthäus dann nach 75 Minuten doch den Platz verließ (worauf sofort das Gegentor fiel). Man könnte sagen: Es ist eigentlich schön, daß es diesen Respekt vor dem Alter noch gibt. Selbst für Matthäus war das „Neuland“. Er schritt durch den Jubel, „verwirrt und begeistert“, und hätte um ein Haar vergessen, „den Trainer abzuklopfen, wie man das immer macht“. Jedenfalls dann, wenn man kein Fußballprofi mehr ist, sondern ein Lothar Matthäus.

Alles begann neu, als im letzten, dem WM-Sommer ein paar Zuschauer in Lens in ihrer Verzweiflung nach dem damaligen Ersatzlibero schrien. Heute könnte Ausnahmespieler Bierhoff hundert Tore schießen oder Ausnahmespieler Neuville hundert Haken schlagen, gegen Matthäus kommen sie nicht an. Diese Huldigung wird gespeist durch Aktionen auf dem Platz, aber auch durch Sentimentalität im Angesicht seiner 20 Jahre als Fußballprofi. Insofern ist sie ambivalent, weil sie ein bißchen dem Oscar „für das Lebenswerk“ ähnelt. Nach dem kommt bekanntlich nur noch der Tod.

Neulich hat Matthäus gesagt, er sage bekanntlich nichts über Kollegen und schon gar nicht über Jürgen Kohler (33), aber dem alten Weggefährten laufe er immer noch davon. Das ist beachtlich, tun aber andere auch, und insofern wird sich weisen, was Matthäus vermag, wenn man nicht wie zuletzt mit Moldawien, Finnland (2:0) und Nordirland (3:0) spielen darf.

Wird ihm New York nützen? Was will er da eigentlich? Den Metro-Stars-Trainer Milutinovic beim Wort nehmen, der ihm für weite Wege einen Hubschrauber zur Verfügung stellen will, „wenn er nur kommt“? Sagen wir so: Was er auf keinen Fall vertragen könnte, wäre eine weitere Reduzierung seiner Teilzeitstelle beim FC Bayern durch Ottmar Hitzfeld. Will er den großen Abgang (und natürlich will er den), muß er mit unbeschädigtem Ruf zur EM 2000 kommen. Schafft er es bis in den Spätherbst in der Bundesliga, ist die EM so nahe, daß Ribbeck sagen kann, einen Spieler wie Matthäus hole er auch aus New York.

Selbst der bekannte Matthäus- Kritiker Mehmet Scholl hat dessen Ausnahmestellung zugeben müssen. Man wisse ja, sagte er, daß erstens er und Matthäus „sich privat nicht grün“ seien; zweitens er es nicht nötig habe, dem Kollegen „Honig ums Maul zu schmieren“. Scholl saß rechts auf dem Podium, als er so redete. Matthäus saß links und lächelte gerade selig vor sich hin, als sich Scholl ihm zuwandte und ohne erkennbare Ironie sprach: „Hut ab vor deiner Leistung, Lothar!“ Raunen im Saal. Alles schrieb den Satz auf. Dereinst wird man ihn wahrscheinlich in seinen Grabstein meiseln.

Deutschland: Kahn - Matthäus (75. Babbel/) - Nowotny - Strunz , Jeremies (45. Scholl), Hamann, Heinrich - Neuville, Kirsten (54. Ramelow), Bierhoff, BodeMoldawien: Dinov - Stroienco - Fistican, Maievici (55. Stratulat) - Gaidamasciuc (74. Belous), Epureanu , Rebeja, Guzun, Curtianu, Oprea - Clescenco (81. Sischin)Zuschauer: 22 500 (ausverkauft)Tore: 1:0 Bierhoff (2.), 2:0 Kirsten (27.), 3:0 Bode (38.), 4:0 Bierhoff (56.), 5:0 Scholl (71.), 5:1 Stratulat (76.), 6:1 Bierhoff (82.)

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