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Die Bläue des Himmels messen

Am 5. Juni 1799 schiffte sich Alexander von Humboldt nach Südamerika ein. Die Ausstellung „Netzwerke des Wissens“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt folgt den Spuren des Forschers auf seiner Reise durch einen fremden Kontinent  ■ Von Katrin Bettina Müller

Fast wäre 1796 alles aus gewesen. Alexander von Humboldt, Oberbergrat in Franken, wollte Licht ins tiefste Dunkel der Stollen bringen und konstruierte eine Grubenlampe, die selbst bei wenig Sauerstoff weiterbrennen sollte. Sie brannte tatsächlich, als Freunde den ohnmächtig gewordenen Forscher aus seinem lebensgefährdenden Experiment retteten. Jetzt dokumentiert sie in der Ausstellung „Netzwerke des Wissens“ die Vorgeschichte seines Aufbruchs zu den Gipfeln der Anden.

Der Weg nach unten war ein entscheidender Abstecher, lernte Humboldt doch dort die Querschnittsdarstellung, mit der das unterirdische Labyrinth von Schächten, Stollen und Erzadern übersichtlich erschlossen wurde. Im Schnitt durch den Chimborazo, den höchsten Vulkan Südamerikas, gelang ihm später die anschaulichste Zusammenfassung der gesammelten Meßdaten in der Region des Äquators. Die linke Seite des rauchenden Vulkans ist mit den Pflanzen bewachsen dargestellt, die der zweiunddreißigjährige Humboldt und Aimé Bonpland, Freund und Botaniker, bei ihrem waghalsigen Aufstieg in den verschiedenen Höhen vorgefunden hatten. Rechts stehen ihre botanischen Namen. Die Seitentafeln listen die Gipfelhöhen anderer Berge auf, Daten über die Luft, das Klima, Anziehungskraft der Erde, Gesteinsformationen und Tiere. Der kolorierte Kupferstich „Geographie der Pflanzen in den Tropen-Ländern; ein Naturgemälde der Anden“, 1807 in Paris veröffentlicht, ist Kunstwerk und wissenschaftliche Datei zugleich. Er bildet den Mittelpunkt der Räume, die den Ergebnissen von Humboldts Reise durch Südamerika gewidmet sind.

Einer Umfrage in Caracas zufolge nimmt Alexander von Humboldt nach einem Popsänger und dem venezulanischen Nationalhelden Simón Bolivar den dritten Platz auf der Hitliste der Popularität ein. Lange bevor man in Deutschland an das 200jährige Jubiläum seines Aufbruchs in das damalige spanische Kolonialreich am 5. Juni 1799 dachte, wurden die Goethe-Institute in Lateinamerika mit Fragen bombardiert, was man zu Ehren Humboldts aus Deutschland erwarten könne. Denn dort gilt der erste Forscher, der nicht im Auftrag einer Kolonialmacht reiste und sein während der Expeditionen geknüpftes Korrespondentennetz sein Leben lang weiter pflegte, als Begründer einer Wissenschaft, die den Ländern an der Schwelle zur Unabhängigkeit half, ihre Geschichte zu finden.

Von Sozialkritik zur intensiven Ausbeutung

So entstand das Panorama „Netzwerke des Wissens“ im Zusammenhang mit Humboldt-Ausstellungen in Mexico Stadt, Havanna, Caracas, Bogotá und Lima. Dahinter stand der Anspruch, Lateinamerika nicht länger nur als Objekt, sondern auch als Subjekt der Forschung einzubeziehen. Überzeugend gelungen ist das in der deutschen Ausstellung nicht ganz, für die neben dem Goethe-Institut die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Bonn) und das Haus der Kulturen der Welt (Berlin) verantwortlich sind. Statt der Einbeziehung fremder Perspektiven beschränkt sich der Austausch auf Leihgaben.

Aus Havanna kamen eine Sklavenpeitsche, Fußeisen und die Zeichnung eines Schiffs, in dessen Bauch die „Ware Mensch“ eng gestaut zum Sklavenmarkt in Cumana, einem der ersten Ankerplätze auf Humboldts Reise, gebracht wurde. „Wie unwirthbar macht europäische Grausamkeit die Welt“, notierte Humboldt, erschrocken über diesen „fabrikmäßigen“ Einsatz der Afrikaner und: „Die Kolonie ist ein Land, wo man behauptet, in Freiheit leben zu können, weil man dort seine Sklaven straflos mißhandeln und die Weißen beleidigen kann, wenn sie arm sind.“

Er, der sich nur dank der Erlaubnis des spanischen Königs ungehindert in den Kolonien bewegen durfte, vertraute dies seinem Tagebuch an und verhielt sich nach außen diplomatisch. In der Hoffnung, daß die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Bildung den Unterdrückern entgegenarbeiten werde, galt seine Priorität seinen Forschungszielen. Erst nach Paris zurückgekehrt, ließ er seine Kritik in eine sozialökonomische Studie einfließen.

In Neuspanien, das er 1804/05 besuchte, waren es die Indianer, die „zu Tausenden in den mexikanischen Bergwerken gestorben“ sind, die ihn zu Vorschlägen über bessere Fördermethoden, den Einsatz von Maschinen und eine Verbesserung der sozialen Situation der Arbeiter bewegte. Doch aufgenommen wurden seine Vorschläge nur, insofern sie die Ausbeutung der Minen intensivierten.

„Wie, es gibt noch solch ungeheure Gebiete mit unentwickelter Wirtschaft und mit fabelhaften Bodenschätzen, mit so widerstandslosen, so genügsamen Arbeitskräften?“ So malte sich Egon Erwin Kisch 1942 im mexikanischen Exil das Interesse der Europäer an Humboldts Publikationen aus. Auch in Mexiko wurde später der Vorwurf erhoben, daß die Weitergabe seines geographischen Wissens an die USA mitverantwortlich sei für die Invasion Nordamerikas in Mexiko 1848. Hans Magnus Enzensberger nannte ihn einen „uneigennützigen Boten der Plünderung“. Die Absicht Humboldts, der seine Reise selbst finanzierte, war indes, sein Wissen den bereisten Ländern zur Verfügung zu stellen. Die Bewegungen der Unabhängigkeit prägten seine Perspektive zunehmend während der dreißig Jahre dauernden Auswertung und Publikation der Ergebnisse in 34 Bänden.

Wie weit das Ideal einer Gleichberechtigung aller Kulturen von einer konkreten Ausformulierung entfernt war, zeigt freilich die Sprache der Bilder. Da blickt Humboldt, lässig Standbein/Spielbein auf seinen Instrumentenkoffer gestützt, auf die am Boden kauernden Indianer, die Feuer machen. Mit seinen Forschungen über die Inkas, Vermessungen von Ruinen, Sammlung von Legenden und mit dem Studium von aztekischen Bilderhandschriften wandte er sich zwar gegen das Bild vom geschichtslosen Naturvolk. Doch der Versuch, die vorspanischen Kulturen anzuerkennen, gelang nicht ohne Überformung durch klassizistische Muster.

Das Einheit von Kunst und Wissenschaft

Auf einem Kupferstich, der als Frontispiz im „Atlas géographique et physique du Nouveau Continent“ erschien, reichen Minerva und Merkur einer Allegorie von Amerika im indianischen Federschmuck die Hand, die ganz nach dem antiken Helden geformt ist. Die Aufnahme in den Pantheon war als Trost gegen die Übel der Conquista gemeint. Das Motto „Humanitas. Litterae. Fruges“ behauptete, daß die alte Welt Zivilisation, Wissenschaft und Weizen in die neue Welt gebracht habe.

Nicht weit von diesem Stich entfernt liegt ein gigantischer Instrumentenkoffer Humboldts, den er auf einer Hacienda in den Anden zurückgelassen hatte. Kein Wunder, bei dem Gewicht. Er gehört zu den wenigen Überbleibseln seiner Ausrüstung, die er über vier Jahre zusammengetragen hatte, um Himmel und Erde zu vermessen, Gesteins- und Pflanzenproben sammeln, zerlegen, analysieren und transportieren zu können. Selbst die Bläue des Himmels wurde gemessen. Dabei stand von Anfang an fest, daß alle Details nichts für sich waren, sondern in einem großen Bild der Erde zusammenfließen sollten.

Der Kunst wurde dabei eine große Rolle als Beitrag zum Verständnis zugedacht. Alle Veröffentlichungen lebten von Bild und Text; es waren nicht zuletzt die leuchtenden Kupferstiche der botanischen Bände, die Humboldts Erbe verschlangen und fast ruinierten. In ihren schönen Kompositionen erzählen sie noch heute von der Sehnsucht, Kunst und Wissenschaft als Einheit zu begreifen. Dieser Anspruch beflügelte auch die Landschaftsmaler Johann Moritz Rugendas, Ferdinand Bellermann und den Amerikaner Frederic Edwin Church, die Humboldts Reiserouten folgten und seine Methode der Sammlung von botanischen, zoologischen und geologischen Detailaufnahmen zum Zweck späterer Komposition als Programm verstanden. Daß die Künstler dabei vor Ort zunehmend zur spontanen Aufzeichnung der Wahrnehmung und zur Erforschung visueller Phänomene gelangten, ließ sie allem akademischen Regelwerks zum Trotz zu den Vorboten einer neuen Malerei werden.

Humboldt selbst gehörte zu den meistgemalten Menschen seiner Zeit. Im Foyer sind seine Porträts auf Fahnen zusammenkopiert, die sein Kommunikations- und Reflexionsbedürfnis gebündelt übermitteln. So gelingt der Ausstellung, in der ästhetischen Dimension von Humboldts Werk jene Einheit sichtbar werden zu lassen, die in der Rezeption der einzelnen Wissenschaftszweige immer wieder verlorenging. Tendenzen der Vereinnahmung gab es nicht nur von den einzelnen Disziplinen, sondern auch von nationalistischer Seite. Schon zu Lebzeiten reklamierte ihn Preußen als Patrioten, während Frankreich seine Arbeit in Paris unter die französischen Leistungen rechnete.

Den ganzen Humboldt fassen zu wollen kann freilich nicht anders ausgehen als mit einem vielteiligen Mosaik. Denn dem Autor selbst geriet ja sein Projekt, die Welt als harmonisches Ganzes zu beschreiben, aus den Fugen. Aus Geldmangel nach Berlin zurückkehrt, sieht man ihn am Ende in einem Bild von Eduard Hildebrandt in seiner überquellenden Bibliothek sitzen, wo er an seinem letzten wissenschaftlichen Bestseller schrieb. Einer der ausgestopften Adler, die auf dem Ofen und über den Regalen als trauriger Ersatz für das einst erlebte Abenteuer hockten, wacht über dem letzten Ausstellungsraum.

„Netzwerke des Wissens“. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee-10, Di bis So 10 bis 20 Uhr, bis 15. August. Ab 14. 9. bis 9. 1. 2000 in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn. Katalog: 35 DM

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