Belgrad in Frieden gelassen

Sommer, Sonne, Frieden: Belgrads Bevölkerung ist erleichtert und wütend zugleich. Die wenigsten begreifen, was geschehen ist, und sehen Milosevic als Sieger.  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Der Garten des beliebten Belgrader Cafés „Soho Bar“ ist voll. Sichtlich entspannt hängen junge Menschen hier den ganzen Tag herum. Zwar reicht das Geld der meisten Besucher nur für Kaffee und Wasser, doch um so mehr wird das sommerliche Wetter genossen. Und der Frieden beziehungsweise der Anschein von Frieden. Zum erstenmal seit Kriegsbeginn flog die Nato vergangene Nacht keine Angriffe auf Ziele in Serbien.

Ob sich nun jugoslawische Streitkräfte aus dem Kosovo zurückziehen und Nato-Truppen in die umkämpfte Provinz einmarschieren, ob und unter welchem Kommando auch russische Soldaten stationiert werden, ist für die Stammgäste des mondänen Cafés eher nebensächlich.

„Was geschehen ist, ist geschehen. Das Leben geht weiter. Wenn man als Serbe andauernd in die Vergangenheit schauen würde, könnte man ja nur noch heulen“, sagt der dreißigjährige Bauunternehmer Nenad, seinen Eiskaffee schlürfend. Vorerst würden sich die Menschen hier freuen, daß keine Bomben auf sie fallen, daß die Cafés nicht mehr um acht Uhr, sondern erst um Mitternacht schließen, daß die Strom- und Wasserversorgung etwas regelmäßiger geworden ist.

Aber ein bitterer Nachgeschmack werde lange bleiben. Denn der Westen habe durch die sinnlose Zerstörung des ganzen Landes für die Menschen hier ein normales Leben für lange Zeit unmöglich gemacht.

„Der Frieden ist gut! Jetzt wird auch meine Freundin, die nach Budapest geflüchtet ist, zurückkommen“, mischt sich Stanko Brkovic, der Miteigentümer der Soho Bar, in das Gespräch ein. „Spaß beiseite, dieser Krieg hat die Wertvorstellungen in Serbien verändert. Diese Bar ist zum Beispiel im Sinne der angelsächsischen Kultur konzipiert worden, und den Angelsachsen ist nichts Besseres eingefallen, als uns kaputtzubomben – nicht das Regime, sondern das Volk und das Land.“ Wen sollten die Menschen hier jetzt als Vorbild nehmen, klagt er, etwa Rußland? Solle er jetzt die Bar in „Moskauer Blümchen“ umbenennen?

Ganz anders ist die Stimmung am Sonntag auf dem Belgrader Grünmarkt „Zeleni Venac“. Die Verarmung der Bevölkerung ist unübersehbar. Müde, blasse, besorgte Gesichter. Nur wenig wird gekauft – kein Geld. Erst vor wenigen Tagen wurde die zweite Hälfte der Renten vom Februar ausgezahlt. Die Stimmung ist gereizt.

Wenn man jemandem hier eine Frage über Krieg und Frieden stellt, wollen sofort alle nervös mitreden. „Das sind alles Arschlöcher, sag ihnen das, den Deutschen und den Amerikanern!“ schimpft ein älterer Herr. „Sie wollten uns besetzen, uns erniedrigen, und das hat Präsident Miloevic nicht zugelassen. Deshalb haben sie uns über siebzig Tage bombardiert“, fügt eine Frau hinzu. Natürlich, so glaubt man, hätte Jugoslawien gesiegt, denn nicht die Nato, sondern die UN habe nun das Sagen im Kosovo, und die territoriale Integrität Jugoslawiens habe Amerika garantieren müssen.

Viele Leute auf der Straße geben die Version des staatlichen Fernsehen ungefiltert wieder. Weder wissen sie genau, was Miloevic eigentlich in Rambouillet abgelehnt hatte, weshalb der Krieg überhaupt ausgebrochen ist, noch ist ihnen klar, was Miloevic nun eigentlich unterzeichnet hat. Das einzige, was sie aus den gleichgeschalteten Medien erfahren, ist, daß sie über zwei Monate bombardiert wuden und daß Miloevic jetzt den Frieden ermöglicht hat.

Nach dem Exodus der Serben aus Kroatien, nach dem Krieg in Bosnien, den das serbische Regime verloren hatte, war das erfolgreiche Motto der Miloevic-Sozialisten: „Dank der weisen und friedliebenden Politik von Präsident Miloevic ist Serbien nie in den Krieg involviert worden.“

Nun heißt es: „Die Einigkeit des Volkes und der politischen Führung, der heroische Kampf der Armee und der Polizei haben die Souveränität des Staates bewahrt, und den verbrecherischen Aggressor gezwungen, die Charta der UN zu respektieren.“

Spätestens im Winter, glaubt der Computerfachmann Jovan Ciric, „wenn die Menschen in ihren eiskalten Wohnungen ohne Strom hocken, wird es zur Ernüchterung kommen“. Für sich selbst sieht er zwei Möglichkeiten: Entweder wie die meisten seiner Freunde und Kollegen allmählich die Koffer zu packen. Oder sich für den Beginn des 21. Jahrhunderts einen Holzherd zu besorgen, „denn darauf wird dann gleichzeitig gekocht und geheizt“. Das Holz könne er in seiner Zweizimmerwohnung in einem Hochhaus in der Badewanne lagern, denn Wasser werde es wahrscheinlich auch nicht geben.

„Solange Miloevic an der Macht ist, wird dieses Land keine Zukunft haben“, resümiert er. „Niemand wird hier in den Wiederaufbau investieren. Und der Wiederaufbau ist ohnehin nur mit dem Geld jener möglich, die hier alles zerstört haben. Bizarr, nicht wahr?“