Das fühlt sich an wie altes Papier

■ Peter O. Chotjewitz hat einen Roman geschrieben und hätte es besser bei einer Anekdotensammlung gelassen: „Das Wespennest“

Wer frühere Bücher von ihm kennt, der kennt auch Raum und Ambiente des neuen Romans: die Ecke Nordhessens, aus der der Autor und Jurist Peter O. Chotjewitz stammt. Nachdem er sich mit kürzeren Romanen wie „Die Herren des Morgengrauens“ (1978) oder „Saumlos“ (1980) an seine Themen – die Auseinandersetzung mit Faschismus und der fatalen deutschen Geschichtsbewältigung, dann mit RAF und Terrorismus – herangeschrieben hat, spannt „Das Wespennest“ den zeitlichen Bogen von den 30er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart.

Es ist kein Entwicklungs- und auch kein Erziehungsroman, auch wenn es bisweilen so scheint. Am ehesten vielleicht noch ein historischer Roman: Chotjewitz' persönliches Geschichtsbuch, dem man seinen Kolportagestil vom ersten bis zum letzten Satz anmerkt. Der Text zerfällt in 66 Kapitel von annähernd derselben Länge (in Fortsetzungsgeschichten).

Sicher ließe sich dem Roman postmodern zugute halten, daß er die vermeintlich große Geschichte skelettiert und die einzelnen Knochen und Knöchelchen, die einzelnen kleinen Geschichten, unverbunden oder nur lose verknüpft nebeneinander stehen läßt. Der Text wird auf verschiedene Erzählerstimmen verteilt, ohne ein teleologisches Ziel oder Schlußfinale anzupeilen, indem alles zueinanderfände.

Geschenkt. Dies alles gehört heute zum Spiel mit modischer Konfektion. Vergessen wir auch nicht die ebenso geläufige Intertextualität, die zum Kleingeld postmoderner Erzähltstrategien zählt. Bei Chotjewitz werden aus F. C. Delius samt seinem Vater, dem Pastor, die Herren Debius („Pfarrersohn Fürchtegott Debius, den wir den 1. FC Debius nannten, weil er für Fußball schwärmte“). Carl Améry wird zum „quirligen Jesuitenschüler um die Siebzig“, Charles Améry.

An Arno Schmidt wird erinnert und auch des Köln-Verächters R. D. Brinkmann gedacht, wenn es bei Chotjewitz replizierend heißt: „Köln ist eine schöne Stadt.“ Andreas Baader taucht wirklich und wahrhaftig auf – als Womanizer mit „makellosem Astralleib“ – und verschwindet dann wieder aus dem Gesichtsfeld des Erzählers, weil Baader ihm „die Stelle als Chauffeur dann doch nicht geben wollte“, genauso wie die wirklichen und imaginären Figuren aus den Kinder- und Jugendtagen und aus den späteren Zeiten der Bewegung.

Das ist recht hübsch erzählt, auch nett anschaulich, bisweilen ein Geschichtsunterricht en miniature. Aber je länger der Text dauert, desto enervierender wirkt diese Geschichte über Gott und die Welt und das Dorf Hofacker im Hessischen. Am Ende rettet sich Chotjewitz nur noch kalauernd über die Runden, Bayern separiert sich von der Bundesrepublik, und Gregor Gysi wird Bundeskanzler. Es darf gelacht werden.

Aus dem anfänglichen Lesevergnügen wird eine arge Strapaze. Zu flächig ist diese Prosa. Zu ähnlich sind sich die verschiedenen Erzählerstimmen, die keine Unterschiede der Temperamente oder Stillagen aufkommen lassen und daher eigenartig konturenlos erscheinen. Schade drum. Als lockere Folge von Erzählungen und Kurzgeschichten könnte der Text Spaß machen, als Roman ist er gescheitert.

Chotjewitz mag das wohl selbst gespürt haben, wenn er in seinem sicher auch poetologisch gemeinten Titel an einer Stelle darauf anspielt, daß das Nest der Luftwespen die Struktur seines Romans habe: „Lauter Waben, umgeben von einer fragilen Substanz, die sich anfühlt wie altes Papier.“ Werner Jung

Peter O. Chotjewitz: „Das Wespennest“. Roman. Rotbuch Verlag, Hamburg 1999, 300 Seiten, 38 DM