Diplomatische Tricks

■ Indien und Pakistan schieben sich im Kaschmir-Konflikt die Verantwortung zu

Delhi (taz) – Kommt er nun oder kommt er nicht? Das Datum des Besuchs des pakistanischen Außenministers Sartaj Aziz in der indischen Hauptstadt wird seit Tagen wie ein Ball zwischen Islamabad und Delhi hin- und hergespielt. Aziz wollte zuerst sofort nach Indien reisen, als dieses in Kaschmir mit Luftangriffen begann. Als Delhi dies brüsk zurückwies, schlug Islamabad den 7. Juni vor. Nach mehrtägigem Schweigen lehnte Delhi auch dies als „ungünstig“ ab. Delhis Zögern zeigt, wie sehr Indien vom cleveren Zug des pakistanischen Premiers Nawaz Sharif in die Enge getrieben wurde. Nachdem Islamabad die Einschleusung von vielleicht tausend Kämpfern in den Norden Kaschmirs gelungen war, drängte Sharif Indien nun auch noch diplomatisch in die Ecke, weil er mit dem Besuchsangebot als Friedenssucher dasteht.

Wenn Aziz schließlich eintrifft, könnte aber Delhi die besseren Karten haben. Pakistans Außenminister hat in den letzten Tagen die Besetzung indischen Territoriums auch mit der Unklarheit der Demarkationslinie in Kaschmir begründet. Indien hat darauf scharf mit dem Hinweis reagiert, daß die Kontrollinie detailliert kartographiert und von beiden Staaten als provisorische internationale Grenzziehung akzeptiert worden sei. Das indische Argument, daß eine Infragestellung dieser Linie die Grundlagen der Sicherheitsarchitektur im Subkontinent erschüttere, hat bei den westlichen Staaten offenbar seine Wirkung nicht verfehlt.

In einem Brief an Vajpayee und Sharif hat US-Präsident Bill Clinton die bisherige amerikanische „Äquidistanz“ im Verhältnis zu den zwei Staaten aufgegeben und den Alliierten Pakistan aufgefordert, seine Kämpfer aus dem indischen Teil Kaschmirs zurückzuziehen. In Indien wird vermutet, daß die Amerikaner über Beweise darüber verfügen, daß an der Einschleusungsaktion auch pakistanische Militärs beteiligt sind.

Bernard Imhasly