Die taz rief – und der Berg kam!
: Ein Alpinisten-Traum namens Blocklanddeponie

■ In einer zehnteiligen Serie, Sie erinnern sich, suchte unser Autor vor einigen Monaten verzweifelt nach einer Möglichkeit, in Bremen Berge zu besteigen. Nun wurde er erhört: Ein Müllberg wird zum Jugendfreizeitheim umgestaltet. Ein Freudengesang

Sie erinnern sich: Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott sprach durch den Bürgerpark und Gerhard Schröder zu mir. Er sagte: „Geh hin und suche einen Berg im Lande Bremen. Ihn sollst du erklimmen zum Vorbild des ganzen Volkes und vor allem der Jugend. Denn diese Zeit ist eine harte Zeit; es ist viel Verwirrung unter den Menschen. Du sollst ihnen Leitbild und Quelle der Hoffnung sein, in diesem öden Lande, dem es an Möglichkeiten zum heiligen Bergsteigen mangelt. Ich werde dir einen Hund senden und einen Narren, diese werden deine Jünger sein. Das Vorhaben im Herzen eines Mannes ist wie ein tiefes Wasser; aber ein kluger Mann kann es schöpfen. Ein törichter Sohn ist seines Vaters Herzeleid, und ein zänkisches Weib wie ein ständig triefendes Dach. Zuviel Honig essen ist nicht gut; aber wer nach schweren Dingen forscht, dem bringt's Ehre.“

Gott redet immer so gestelzt und bisweilen verrätselt. Aber ich bin ein gottesfürchtiger Mann und außerdem für jeden Mist zu haben, weshalb an ebendieser Stelle am 11. Dezember letzten Jahres dem staunenden Publikum die erfolgreiche Erstbesteigung des Bremer Müllberges verkündet werden konnte. Der touristischen Erschließung des Blocklandmassivs stand nun nichts mehr im Wege.

Heute, bereits ein halbes Jahr später, durfte ich die Früchte bestaunen, die am Birnbaum meiner Anstrengungen herangereift waren: Mir faltete ein Flatterblatt ins Haus, mir und allen anderen Haushalten mit Briefkasten. In dieser hübsch aufgemachten Broschüre erstrahlt die 49 Meter hohe „Perle Bremens“, wie ich den Müllberg in Momenten der Rührung liebevoll zu nennen pflege, in ihrer ganzen majestätischen Pracht. Bunte Luftballons tanzen lustig am azurblauen Firmament. Ich bekam feuchte Augen, als ich die Auflistung der angebotenen Attraktionen las: Die Organisatoren waren in ihrem enthusiastischen Tatendrang weit über das von mir Verlangte hinausgeschossen. Neben Bergwanderungen und Kraxel-Kursen („im Geschirr die steilsten Hänge meistern“) las ich von Deponie-Safaris mit dem Jeep, Seilbahnen, Abenteuerrallyes, Ponyreiten, Seifenkistenrennen und der Akkordeongruppe „Happy Harmonists“ mit Dirigent Hans Meiser. Angesichts dieses leidenschaftlichen Eifers und des damit verbundenen Organisa-tionsaufwandes sah ich den Verantwortlichen nach, daß sie mir keine persönliche Einladung hatten zukommen lassen. Man ist ja kein Unmensch. Ein Denkmal würde ich aber dennoch für angemessen halten.

Aber so konnte ich mich unerkannt unters Volk mischen. So viele Menschen, wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand! Im Radio hatte ich gar gehört, daß die Parkplätze belegt seien und Pendelbusse verkehren würden. Da muß sicherlich logistisch noch nachgebessert werden. Aber für solcherlei Marginalitäten war nun kein Raum. Köstliche Empfindungen durchfluteten mich: Ich, der Messias, wandelte inkognito unter meinen ahnungslosen Schäfchen! Es ist müßig zu erwähnen, daß Lassie und Sepp, meine Jünger, mich begleiteten; sie weichen nie von meiner Seite und verfolgen mich so hartnäckig wie McCarthy die Kommunisten.

Es erfüllte mich mit Stolz, all die lieben Kinderlein spielen, basteln und im Müll wühlen zu sehen. Irgendwelche Slumkids in Südamerika dürfen das jeden Tag – die haben's gut! Im Gegensatz zu ihren südamerikanischen Altersgenossen erfreuten sich die deutschen Sprößlinge jedoch bester Gesundheit und strahlten mit roten Pausbäckchen, daß es eine Freude war. Sie waren so munter, sie rochen reinlich aus allen Poren, weil sie gerade gebadet hatten, die Haare waren sorgsam gescheitelt worden, sie hatten sich auch hinter den Ohren geschrubbt, die Mädchen trugen lange Zöpfe und hübsche Kleidchen. Alle sprühten nur so vor Energie und konnten kaum stillsitzen, weil ihre jugendlichen, sportlich gestählten Körper sich nach Bewegung sehnten.

Nun hielt es mich nicht länger. Das ewig Hügelige zog mich hinan. Mittlerweile führt eine asphaltierte Prachtallee zum Gipfel, weshalb ich diesmal nicht die steile, mörderische Nordwand wählen mußte. Auf der Aus-sichtsplattform lümmelte viel Volk und beglotzte das platte Bremen. Auch zwei Alphornbläser, ein Greis und ein Jüngling, waren anwesend und tuteten nach Kräften und Noten in ihre Arbeitsgeräte. In echt, das ist jetzt kein Witz! Auch die folgende Konversation hat sich so und nicht anders zugetragen. Ich trat nämlich an die beiden heran, wandte mich dem Älteren zu und fragte im Stile des besten investigativen Journalismus: „Sag, mein Sohn, ist ein Berg für's Alphornblasen unabdingbar?“ – „Ein Venushügel tut's auch schon“, erwiderte frech der Greis. Und der Jüngling fügte keck hinzu: „Alphornbläser haben einen größeren Sexappeal als Rockgitarristen, an Groupies herrscht kein Mangel.“ Der Alte wiederum, ein ganz schlimmer Finger, ergänzte ohne rot zu werden: „Leider ist das Alphornspielen sehr anstrengend. Aber dafür lassen wir uns später einen blasen, ha ha.“ Also ehrlich! Ich war schockiert, brüskiert und erschüttert zugleich.

Derlei unchristliche Gestalten trieben sich auf dem heiligen Berg herum! Erzürnt deutete ich gen Himmel und rief: „Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein!“ Doch die satanischen Alphornbläser, Verderber der Jugend, zeigten sich unbeeindruckt bis amüsiert. Umherstreunendes Volk sammelte sich um mich, der ich mich immer stärker ereiferte. „Ich bin der Messias!“ brüllte ich. „Und das sind meine Jünger! Allen Lästerern wird der heftige Grimm des Herrn widerfahren!“ Hohngelächter wurde laut. Es fielen Begriffe wie „plemplem“ und „gaga“. Allzusehr erlitt meine Seele Spott der Unwissenden und Verachtung der Hoffärtigen. In meinem Zorn wollte ich Lassie auf die gottlose Meute hetzen. Aber sie war eingeschlafen. Das Thema bei Vera heute morgen war: „Kampfhunde – eine tierische Waffe?“ Tim Ingold