■ Schröder gerät im Streit um AKW-Kredite in die Defensive
: Trittins neue Chance

Erneut spaltet das Atom die Regierung. Wieder stehen sich der Kanzler und sein Umweltminister unversöhnlich gegenüber. Doch sonst ist alles anders: Diesmal geht es nicht um den Ausstieg, sondern um den Wiedereinstieg. Und diesmal ist nicht Jürgen Trittin isoliert, sondern der Kanzler. Denn Gerhard Schröder will ein Versprechen Helmut Kohls einlösen und 810 Millionen Mark Kredit an die Ukraine zahlen für den Bau zweier neuer Atommeiler. Sie sollen die noch arbeitenden gefährlichen Reaktoren am Unglücksort Tschernobyl ersetzen. Kein sehr überzeugender Akt für eine Bundesregierung, die den Ausstieg aus der Atomkraft angekündigt hat. Und deshalb sind nicht nur die Grünen dagegen, sondern auch die SPD-Fraktion.

Warum macht Schröder das? Nach westlichen Standards wären die neu geplanten AKW russischer Bauart nicht genehmigungsfähig. Es ist absurd, ein unsicheres AKW durch ein etwas weniger unsicheres zu ersetzen. Schließlich gibt es eine Alternative: Gaskraftwerke, die zudem nur halb so teuer wären. Die will die Ukraine nicht, weil sie nicht abhängig werden möchte vom russischen Gas. Doch das ist ein kurioses Argument, denn das Uran muß die Ukraine mangels Devisen ebenfalls aus Rußland beziehen. Wenn der Westen schon den Bau finanziert, sollte er sich nicht auch noch die gefährlichere Variante aufpressen lassen.

Schröders Absicht, Kohls Versprechen von 1995 einzuhalten, rührt auch nicht aus dem Wunsch außenpolitischer Kontinuität. Vielmehr liegt die Position des neuen Kanzlers bei der Wirtschaftsförderung allzunah an der des alten. Im Ausland galten stets andere Regeln als zu Hause: Auch wenn eine Industrieanlage in Deutschland nicht zu genehmigen wäre, so wurden doch lustig Kredite und Bürgschaften erteilt, wenn nur die Industrie daran verdienen konnte. So war es schon beim Drei-Schluchten-Staudamm in China. Selbst die USA verweigerten aus ökologischen Bedenken die Kredite, aber Kohl zahlte, schließlich wollte Siemens die Generatoren für das Kraftwerk liefern. Auch an den ukrainischen AKW will Siemens verdienen.

Die SPD-Fraktion kann nun beweisen, daß ihr der Atomausstieg wirklich eine Herzensangelegenheit ist. Und Trittin hat nach seiner Demütigung in der Debatte um Wiederaufarbeitung und Atomnovelle endlich eine Gelegenheit, gegenüber Schröder aus der Defensive zu kommen – wenn er es ausnahmsweise mal diplomatisch anstellt. Matthias Urbach