Schlagloch
: Über notwendige Kriege

■ Von Klaus Kreimeier

„Der Krieg ohne Kampf demoralisiert sich selbst – durch seine moralischen Ansprüche.“ Karl Otto Hondrich in der „Zeit“ über die Luftschläge der Nato

Dieser Krieg bietet Lernstoff in Hülle und Fülle – wäre denn die Lernbereitschaft unter allen, die sich zum Kosovo-Krieg geäußert haben, einigermaßen gerecht verteilt und nicht ein so überaus rares Gut. Ihr steht der allzu menschliche Starrsinn entgegen, an Irrtümern festzuhalten und sie selbst dann mit ideologischer Inbrunst zu verteidigen, wenn sie objektiv widerlegt sind.

Objektiv widerlegt ist der radikale Pazifismus – was ihn allerdings keineswegs daran hindern wird, als „gutes Gefühl“ zu überdauern und der Selbstzufriedenheit immer wieder neue Nahrung zu geben. Unter den Kriegsgegnern sind vermutlich viele, die vor Jahren den Westen anklagten, tatenlos „dem Morden in Bosnien zuzuschauen“, stets zu spät einzugreifen und gegenüber Miloevic immer wieder den kürzeren zu ziehen. Wenn gerade aus dieser Richtung heute zu hören ist, vor dem Beginn des Bombenkriegs habe es im Kosovo keine Vertreibungen gegeben, erweist sich das ganze Desaster einer pazifistischen Gefühlsopposition, die um des eigenen Seelenfriedens willen bereit ist, das ohnehin schwach entwikkelte Kurzzeitgedächtnis ganz außer Kraft zu setzen.

Auch auf der anderen Seite erweist der erheblich überfrachtete moralische Apparat, mit dem die bombardierende Nato, allen voran die deutschen Protagonisten, ihre Aktion zu veredeln suchen, seine objektive Untauglichkeit. Fischer, Scharping und Co. sollten dringend ihre Rhetorik überarbeiten. Der Bombenkrieg der Nato war notwendig (und wie die Dinge stehen, ist er es noch immer) –, aber ein gerechter Krieg war er darum noch lange nicht. Gerechte Kriege, gäbe es sie denn, setzten eine „gerechte“ Kriegsführung voraus. Die Strategie der Nato, aus dem Luftraum, unter nahezu vollständiger Schonung der eigenen Kräfte, Soldaten – und sei es eine mordwütige Soldateska – am Boden zu vernichten, war alternativlos, aber sie war auch in hohem Maße ungerecht, von den „Kollateralschäden“ gar nicht zu reden.

Doch es war nicht dieser „Krieg ohne Kampf“, sondern der Aufwand an legitimatorischem Pathos, der ihn in großen Teilen der intellektuellen Öffentlichkeit in Verruf gebracht hat: allzu naheliegend ist der Verdacht, hier wolle, wie so oft in der Geschichte, ein hochgerüstetes Machtkonsortium eine Vernichtungsorgie als Gottesauftrag verbrämen.

Dieser Verdacht wirkt fort. Scheitern die Waffenstillstandsverhandlungen und bombt die Nato weiter, könnte ein Regime, das ethnische Vertreibung und Massenmord auf seine Fahnen geschrieben hat, aus diesem Konflikt wenn schon nicht als politisch-militärischer, so doch als moralischer Sieger hervorgehen: akklamiert von Gesinnungspazifisten, fundamentalistischen Nato-Gegnern, sentimentalen Altlinken und anderen Blinden und Einäugigen auf der ganzen Welt. Ein „Kollateralschaden“, dessen Folgen nicht abzusehen wären.

Notwendige Kriege müssen zu einem schnellen Erfolg führen, wollen die Kriegführenden verhindern, daß das unvermeidbare Unrecht, auf das sie sich einlassen, und das namenlose Leid, das sie anrichten, ihre Motive nicht desavouiert.

In diesem Punkt hat die Nato sich offenbar gründlich verrechnet, und ihre Kriegsziele hat sie gründlich ramponiert. Der Machtpolitiker Miloevic ist geschwächt, aber den Zeitpunkt seiner Kapitulation kann er selbst bestimmen. Er wird ihn so terminieren, daß er hoffen darf, seine angeschlagene Position zumindest innenpolitisch noch einmal zu reparieren – auf unbestimmte Zeit, über deren Dauer allein die Serben entscheiden werden.

Auch die Vertreibung von fast einer Million Menschen aus ihrer Heimat hat das westliche Militärbündnis nicht verhindert; ihre Rückkehr bis zum Winter in ein von serbischen Mordbanden und Nato-Bomben zerstörtes Land ist mehr als fraglich. Unklar bleibt schließlich, ob der Einmarsch einer Nato-geführten Friedenstruppe ins Kosovo die Kämpfer der UÇK entwaffnen oder sie im Gegenteil anspornen wird, ihre großalbanische Hegemonialstrategie zu forcieren und für neue, diesmal serbische Flüchtlingsmassen zu sorgen.

Umgekehrt gilt allerdings: Auch Rückschläge und Mißerfolge, sogar politische Risiken und zivile Opfer erlauben es nicht, einem Krieg seine Notwendigkeit abzusprechen, wenn er einmal als notwendig erkannt wurde. Der Beschluß, diesen Krieg zu führen, resultierte aus der historisch gewonnenen Einsicht, daß auch Demokraten zu gewaltsamen Mitteln greifen müssen, wenn alle anderen Mittel versagt haben, um ihren Machthabern hilflos ausgelieferte Menschen vor Vertreibung, Vergewaltigung und Vernichtung zu schützen. Dies ist eine elementare, ja pragmatische Rechtsposition, die keines moralischen Theaterdonners bedarf. Dazu gehört nur die simple Überlegung, daß die relativen Freiheiten und Sicherheiten, die wir im Westen genießen, wenig wert sind, solange sie anderen Menschen mit Gewalt vorenthalten werden.

Widerlegt ist die (auch vom Verfasser geäußerte) Befürchtung, die Militärmaschine der Nato verfüge über eine Eigendynamik, die alle Versuche, zu einer politischen Lösung zu gelangen, bereits im Ansatz destruieren werde. Es war die „Doppelstrategie“ – Bombardierung und politischer Druck –, die zu den Waffenstillstandsverhandlungen geführt hat. Das Material über die diplomatisch-geheimdienstlichen Aktivitäten, die hinter den Kulissen liefen, wird in den kommenden Jahrzehnten in den Archiven lagern und erst künftiger Forschung die Augen darüber öffnen, wie ein krimineller Regionalhegemon in die Knie gezwungen wurde.

Nicht widerlegt ist der Verdacht, die Nato verfolge ein neues geostrategisches Konzept, sie betreibe eine Eskalationsstrategie im Dienste der Weltherrschaftspläne der USA, sie probiere neue Waffen aus und geriere sich als Weltpolizist. Aber die Argumentation, die auf diesem Verdacht aufbaut, simplifiziert die komplexen Probleme in allen Teilen der Welt. Sie sucht nach einem globalen Erklärungsmuster – mit der fatalen Folge, daß sie sich hinter dem Rauchvorhang ihrer Verschwörungstheorien bequem zurückziehen kann und einer jeweils konkreten Analyse der konkreten Situation enthoben ist. Gegen die amerikanische Dominanz im westlichen Bündnis hilft nur eines: die Stärkung der europäischen Position.

Slobodan Miloevic steht nun als Kriegsverbrecher, außerhalb Serbiens jedenfalls, auf den Fahndungslisten. Den kompletten Wortlaut der vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag veröffentlichten Anklage haben alle unabhängigen serbischen Agenturen – Beta, Free Serbia, Beograd.com – auf ihre Homepage gesetzt: auch diejenigen, die den Bombenkrieg der Nato aufs schärfste verurteilen. Dieser Qualitätssprung von Pinochet zu Miloevic sei hier ausdrücklich festgehalten: Künftig werden nicht nur abgehalfterte Diktatoren, sondern auch amtierende Mörder vor strafrechtlicher Verfolgung nicht mehr sicher sein.

Die Gefühlspazifisten und die Scharpings haben sich blamiert

Gegen die US-Dominanz hilft nur ein stärkeres Europa