Kuscheln mit dem Mittelstand

■ Gerhard Schröder und Tony Blair sprechen in einem Strategiepapier die Sprache der Hardliner: Im Mittelpunkt der Sozialdemokratie sollen künftig die Unternehmen stehen

Berlin (taz) – Gerade lachten sie noch gemeinsam: Mit Frankreichs Ministerpräsident Lionel Jospin tauschte Gerhard Schröder im Berliner Willy-Brandt-Haus feinsinnige Gedanken über die „deutsch-französische Freundschaft in der nächsten Generation“ aus. Angespornt von Schülerfragen, räsonierten sie über die Anerkennung von europäischen Diplomen. Und ob man Nordafrika mit in die EU aufnehme? Jospin wirkte erheitert. Aber sein Schmunzeln verlor sich schnell, als der Kanzler davon sprach, „unsere sozialdemokratischen Werte modern zu interpretieren“.

Was Gerhard Schröder darunter versteht, verriet er einen Tag später, gestern, zusammen mit seinem neuen Favoriten Tony Blair. In der Parteizentrale von New Labour, dem Londoner Millbank Tower, wiesen der Bundeskanzler und der britische Premier den „Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten“. So heißt die Erklärung, die in der europäischen Sozialdemokratie für Furore sorgen wird. Der Weg führt über Stationen, die nicht nur hierzulande heiß umstritten sind: niedrige Unternehmenssteuern zum Beispiel. Oder Einstiegsjobs in den Arbeitsmarkt für niedrig Qualifizierte.

In einer Sprache der „Hardliner“ (Times) erklären Blair und Schröder, daß „das Verständnis von ,Links‘ nicht mehr ideologisch einengen darf“. Links ist in ihrem Verständnis vielmehr, was auch Unternehmen gut tut: „Die Sozialdemokratie hat neue Zustimmung gefunden, weil sie nicht nur für soziale Gerechtigkeit, sondern auch für wirtschaftliche Dynamisierung ... steht“. So lautet der Kernsatz der Erklärung. Blair und Schröder stellen damit das europäische Manifest der Sozialdemokratie geradewegs auf den Kopf. Da stehen „gleiche Chancen für alle und gerechte Behandlung derer, die den Schutz der Gesellschaft brauchen“, noch an erster Stelle. Im „Weg nach vorn“ ist es nun die Wirtschaft, die brummen muß. Und die Arbeitnehmer sind es, „die auf sich verändernde Anforderungen reagieren müssen, wenn auf Dauer ein hoher Beschäftigungsstand erreicht werden soll“. Das von Blairs Chefideologen Peter Mandelson und Kanzleramtsminister Bodo Hombach verfaßte Papier, so hieß es gestern, finde auch bei anderen europäischen Genossen Gefallen – etwa den italienischen Sozialdemokraten. Daß auch „Vordenker“ von Bill Clinton Interesse an der neuen Linie der Sozis finden, ist kein Wunder. Die Kernbotschaft der Wahlkämpfe des US-Präsidenten lautete knapp: “Die Wirtschaft ist es!“

Was Gerhard Schröder in London stolz verkündete, dürfte in Bonn, Berlin und den sozialdemokratischen Ortsverbänden schwer durchzusetzen sein. Bei der Abschaffung der Arbeitsgemeinschaften der SPD klopft der Parteivorsitzende gerade an SPD-Urgestein herum (siehe unten). Und Finanzminister Hans Eichel spart zwar kräftig, ist aber steuerpolitisch eher zurückhaltend. Die Unternehmenssteuerreform hat er gerade auf das Jahr 2001 verschoben.

In den Leitlinien seines Freundes Blair spricht Schröder da eine andere Sprache: „Die Unternehmensbesteuerung sollte vereinfacht und die Körperschaftssteuersätze sollten gesenkt werden“. Das soll „die Bedinungen schaffen, in denen bestehende Unternehmen prosperieren ... und neue enstehen können.“ Dem Mittelstand wollen die Sozialdemokraten künftig ihr Hauptinteresse widmen.

Wie sich der Kanzler das Wechselspiel von Gemeinschaft und einzelnem vorstellt, hatte er im Willy-Brandt-Haus so verdeutlicht, daß auch Lionel Jospin nickte: Jedem wird von der Gemeinschaft geholfen – aber jeder hat auch die Verpflichtung, sich selbst zu helfen. Im Papier über „den Weg nach vorn“ geht die Passage so: „Wir wollen neue Wege der Solidarität und der Verantwortung beschreiten.“ Den Gewerkschaften sprechen sie gerade noch das schlichte Existenzrecht zu:„Wir wollen, daß die Gewerkschaften in der modernen Welt verankert bleiben.“ Christian Füller

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