■  Aufgeschoben, nicht aufgehoben: Gestern waren die Voraussetzungen für eine Abstimmung des Bundestags über das deutsche Kosovo-Kontingent noch nicht gegeben. Aber noch diese Woche soll die Entscheidung fallen
: Weg für die Truppe ist gebahnt

Verflixt aber auch. Es hätte ein so schönes Jubelfest werden können, die Sondersitzung gestern im Bundestag. Der Bundeskanzler hatte sich eigentlich richtig feiern lassen wollen, nachdem es vor dem Wochenende noch nach einer raschen Beendigung des Kosovo-Krieges ausgesehen hatte.

Doch dazwischen lag die Aussetzung der Militärgespräche zwischen Nato und Jugoslawien, lag Verzögerungstaktik serbischer Politiker. So darf Schröder nun lediglich sagen, daß „die Tür zum Frieden geöffnet ist“, daß es Grund zu Optimismus gebe, aber daß Vorsicht weiterhin angebracht sei. Da ist die Einigung der G-8-Außenminister auf eine gemeinsame UN-Resolution noch nicht bekannt. Außerdem muß er bekräftigen, daß die Nato ihre Luftangriffe so lange fortsetzen wird, bis die Belgrader Führung ihre Truppen aus dem Kosovo abzieht.

Applaus brandet immerhin beiSPD und Grünen auf, als Schröder Außenminister Fischer für dessen Verdienste beim Friedensprozeß im Kosovo dankt. Regungslos, mit dem inzwischen bei ihm üblichen mißmutigen Gesichtsausdruck läßt der Gelobte den Beifall über sich ergehen. Mitfühlend stoßen sich die grünen Abgeordneten Marieluise Beck und Angelika Beer an, man hört sie geradezu sagen: Och, guck mal, der Arme, wenigstens ein bißchen könnte er sich doch freuen.

Erst im Verlaufe der Woche wird über den Antrag abgestimmt werden, der ursprünglich gestern zur Entscheidung stehen sollte: Den Antrag, die deutschen Streitkräfte als Teil der internationalen Friedenstruppe im Kosovo von 6.000 auf 8.500 zu erhöhen. Schließlich ist ja jetzt doch kein Frieden. Und so können die Oppositionsparteien punkten, indem sie die Antragsformulierung der Bundesregierung kritisieren, die als Voraussetzung für die Aufstokkung des deutschen Kontigents lediglich eine „Befassung“ des Weltsicherheitsrates vorsieht, nicht aber ein UNO-Mandat. Das aber fordern nun Union und FDP, und die Regierung wird dementsprechend nachbessern.

Statt Jubel für die Regierung großer Beifall für Oppositionsführer Wolfgang Schäuble, der Bundeskanzler Schröder viele „atmosphärische Fehler“ vorwirft. Falsch sei der „Jubel von Köln“ gewesen, sagt Schäuble und meint damit die Freude über den vermeintlichen Friedensschluß beim Treffen des Europäischen Rates in der vergangenen Woche. Dadurch sei offenbar in Belgrad der Eindruck ausgelöst worden, hinter der Erleichterung des Westens stehe so viel Unsicherheit, daß es sinnvoll sei, einige der Zugeständnisse noch einmal zurückzunehmen.

„Je mehr es gelingt“, fährt Schäuble fort, „die Dinge nicht anzuheizen, weil es nicht gelingt, ruhig zu bleiben, desto geringer ist das Risiko für die deutschen Soldaten.“ Sind Schröder und Co. also schuld, wenn demnächst doch deutsche Soldaten sterben sollten? An dieser Stelle bleibt der Beifall der Unionsabgeordneten dünn.

Dennoch, der Tag der SPD ist es nicht. Schröders Bilanz der europäischen Ratspräsidentschaft kann selbst die eigenen Reihen nicht begeistern: Prodi neuer Kommissionspräsident. Solana neuer Beauftragter für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Das lobt auch Schäuble. Schröder hebt die Agenda 2000 hervor. Aber Schäuble kann unwidersprochen sagen: „Die Nettobelastung für Deutschland ist nicht gesenkt worden, sondern gestiegen.“

Bezeichnend für die Stimmung ist die Laune von Ex-Kanzler Helmut Kohl. So gut hat er sich lange nicht mehr im Bundestag amüsiert. Er lacht aus vollem Hals, schlägt rhytmisch mit den Handflächen auf den Tisch, nur richtig klatschen will er nicht, schließlich ist es PDS-Chef Gregor Gysi, der da gerade spricht.

Kohl lacht, als Gysi den Grünen Angelika Beer und Ludger Volmer vorwirft, dem Ansehen der Politik geschadet zu haben, weil sie der lebende Beweis dafür seien, daß man sein Gewissen in erster Linie gegenüber seinem Amt ausübt. Beer und Volmer hatten am 2. Oktober der Androhung des Krieges nicht zugestimmt, später aber den Bombardements.

Kohl amüsiert sich auch, als Gysi den „europäischen Beschäftigungspakt“ kritisiert, den Schröder als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft gelobt hatte. „Bloße Absichtserklärungen“, sagt Gysi. „Da hätten wir uns den Wechsel des Kanzlers sparen können.“

Kohl freut sich also an einem, der die Regierung auffordert: „Stellen Sie noch heute abend die Bombardements ein. Es gibt keinen Grund mehr dafür.“ An dieser Stelle lacht der Ex-Kanzler zwar mal nicht. Aber vielleicht freut er sich ja insgeheim.

Markus Franz, Bonn