Junge Wilde aus Pork-City

■ „Disco Pigs“ feierte am Theater Bremerhaven gelungene Premiere

„Mach deine große Möse auf“, ruft Schweinl seiner Freundin Mücker zu. Zu lauten Dancefloor-Rhythmen stürmen sie am Publikum vorbei auf die Bühne. Monika Pallua und Stephan Clemens spielen im Bremerhavener Stadttheater die „Disco Pigs“ von Enda Walsh, dem „Jungen Wilden“ aus Irland.

Mücker und Schweinl sind 17, ihre Heimatstadt Cork im irischen Südwesten nennen sie Pork-City. Sie haben sich in eine geschlossene Welt zurückgezogen, sie begegnen sich in einem sterilen Raum mit Sofa und Fernseher, gegen dessen Wände sie vergeblich anrennen und dessen Fenster einen himmelblauen Ausblick zeigt. Beide verständigen sich in einer Mischung aus Kinder-, Geheim- udn Kürzelsprache. Aber das Reden ist nicht so wichtig wie das Musikhören und Tanzen, das Um-die-Wette-Saufen, das Lieben. Im Grunde sind sie biggy babies immer hungrig, nach Zweisamkeit, Liebe, nach etwas, für das sie keine Sprache haben.

Ihr Zimmer ist wie wie eine Insel im beängstigenden, unbekannten Meer des Lebens. Hier drinnen können sie träumen, flache Studi-Typen verspotten oder sich über Pamela Anderson lustig machen. Immer in Bewegung, immer rastlos, finden sie nur im Sex die Ruhe, an die sie sich halten können: Schweinl träumt einen Orgasmus herbei und Mücke bewegt sich so wolllüstig weich und zart wie sonst niemals. Am Ende schlägt sich Schweinl die Hände an den Wänden ihres Gefängnisses blutig und Mücker haut ab. Sie verläßt das Zimmer, aber sie weiß nicht, wohin. So trostlos ist der Abschied von der Kindheit. Frühlingserwachen Ende der 90er Jahre: Das ist weit entfernt von Frank Wedekinds selbstherrlicher Erwachsenenwelt um die Jahrhundertwende, die jedes neue Leben, alles erotische Aufblühen schon im Ansatz zerdrückte. Frühlingserwachen ist für diese Disco Pigs eine krampfhafter Kampf um ein kleines Stück Wirklichkeit und schließlich um die Freiheit, den eigenen Weg zu gehen. Erwachsene spielen da weder als Unterdrücker noch als Retter irgendeine Rolle (nur als unsichtbare Mama, die fürs Futter sorgen darf). Dirk Schulz (Regie und Bühne) läßt seine Darsteller schnell und körperlich agieren, sie wirken wie Comicfiguren, deren Sprachfloskeln zum Nebengeräusch werden, das gelegentlich in der lautstarken Musik untergeht. Darunter aber ist Schmerz versteckt, für den sie keine Worte haben, nur die Stille zwischen dem lärmenden Treiben und den wenigen Momenten, wo sie sich eine unerreichbare Nähe erträumen. Wenn Mücker die Kinderwelt verläßt, bleibt offen, was sie will und wohin sie gehen wird.

Großer Beifall für eine fiebrige, starke Inszenierung. Hans Happel

Weitere Aufführungen: 14., 15., 17., 24., 30. Juni und 1. Juli