Kunstquartier Venedig
: Viel Spirit, aber entschieden zuwenig Sprit

■ Auf die Notlandung in Bologna folgt die Irrfahrt zur 48. Kunst-Biennale in Venedig

Nicht alle Wege führen nach Rom. Wenn das Flugzeug keine Landeerlaubnis für Venedig bekommt, muß es in Bologna notlanden. Weiter reicht das Benzin nicht, wie der Kapitän erklärt, während die Reisegäste panisch aus dem Fenster schauen. Draußen tobt derweil ein Gewitter, und der Jet aus Brüssel hat irgendwo über der Po-Ebene einiges an Höhe verloren. Das ging sehr schnell, nicht einmal die tornadogeübte Amerikanerin auf dem Nebensitz konnte die Sekunden mitzählen. Jetzt ist sie ziemlich blaß, und in der Busineß-Klasse werden unauffällig Tüten gereicht.

In Bologna nimmt das Bodenpersonal die Irrfahrt zur 48. Kunst-Biennale nach Venedig eher gelassen. Zwei, drei Flüge pro Tag werden wegen des Wetters oder wegen technischer Probleme umgeleitet, erzählt eine frischblondierte Stewardeß, während die Gruppe vom Flugzeug in einen Bus verladen wird. Der New Yorker Galerist aus Chelsea ruft trotzdem in seinem venezianischen Hotel an, um einem Freund zu erzählen, daß man gerade eben „almost crashed“ wäre mit dem „plane“.

So hat halt jeder seinen Spaß, und die vier Stunden Verspätung sind auf der Autobahn auch recht schnell vergessen zwischen Gruselgeschichten über Traveltours nach Europa, Amerikaner in Paris und die ersten Konzerte der Beatles. Schade nur, daß in Venedig mittlerweile die Sonne untergegangen ist. Der Ausflug in die Giardini am anderen Ende der Stadt endet vor Haigs Bar, bei Flaschenbier für 10 Mark. Man ist mit dem Schrecken zwar davon-, aber leider doch nicht richtig angekommen. Wo sonst eifrig Socializing zwischen Sammlern, Galeristen und Künstlern betrieben wird, liegt die Stadt um zehn Uhr abends fast vollständig im Dunkeln. Na denn, Prost!

Dabei sind die Erwartungen dieses Mal höher als in den letzten zehn Jahren. Sehr viel höher. Nicht etwa, weil Harald Szeemann als Biennale-Chef die letzte große Ausstellung des Jahrhunderts, ach was, des Jahrtausends einrichten durfte. Und auch nicht, weil der Schweizer Kurator vor zwei Jahren eben mal die bessere documenta in Lyon hinlegen konnte, während man in Kassel über Sockenbuden und sozialkritische Kunst stritt. Es liegt vor allem an dem übergroßen Freiraum, den Szeemann zum Millenniumsende für seine KünstlerInnen geschaffen hat. Während im Feuilleton ein wenig säuerlich darüber lamentiert wird, ob Länderpavillons überhaupt noch zeitgemäß sind angesichts von Globalisierung, Kosovo-Krieg und dem Sieg des amerikanischen Kulturmainstream, können die für den Themenschwerpunkt eingeladenen KünstlerInnen auf einem dieses Jahr um das Dreifache angewachsenen Gelände praktisch machen, was sie wollen.

Statt nationaler Repräsentanz zählt bei Szeemann, wie jeder einzelne mit den sozialen Problemen über das Jahr 2000 hinaus künstlerisch umzugehen weiß. Wo niemand mehr recht an Utopien glauben mag, spürt er zumindest den gesellschaftlichen Wünschen nach weniger Ordnung hinterher. „Die ganze Ausstellung entspricht diesem derzeitigen Trend weg von jeder vertikalen Hierarchie. Sie funktioniert wie ein Riesenspaziergang“, hat Szeemann im Interview mit der Zeitschrift Art erzählt. Daß man ihn nicht an seiner Pressearbeit messen wird, dürfte dem Ausstellungsmacher dabei ziemlich bewußt gewesen sein. Schon Klaus Biesenbach hatte vor der Berlin Biennale gerne von Deleuze, Urbanität und dem Hang zum ideologiefreien Gesamtclub geredet, um dann eher belanglos Spielwiesen, Jungs-Zimmer und Model-Laufstege für das neue Berlin zu mixen. Rhizom light.

Szeemann meint es indessen ernst, wenn er von einer „Verjüngungskur für die Mutter aller Biennalen“ spricht. Deshalb findet man auf der Künstlerliste für das etwas holprig „dAPERTutto“ betitelte Projekt an die zwanzig Chinesen, eine Vielzahl von Afrikanern und immerhin ein Drittel Frauen. Was zur documenta noch wohlwollend unter „Political Correctness“ verbucht wurde, nimmt hier tatsächlich die Gestalt einer Community an, die sich aus den Veränderungen der neunziger Jahre ergibt. Offensichtlich zieht dieses Versprechen nicht bloß ein weiter gefächertes Publikum an – die Fähre zum Markusplatz war voll mit Griechen und Dänen –; auch die KünstlerInnen scheinen am Tag vor der Eröffnung noch an der entsprechenden Perfektion ihrer Arbeiten zu feilen. Lediglich Gary Hume hat seinen Pavillon bereits durchgestylt und kann jetzt mit der Londoner „Young british art“-Posse feiern. Falls es mit der Präsentation dann doch nicht klappt, hat sich der Maler zumindest einen Pop-Event dazugebucht: Für einige geladene Gäste wird morgen Pulp spielen. Auf Staatskosten. Soviel Glam muß sein. Harald Fricke