Der Minister zahlt die Kaution

■  Weil Irans Justiz immer mehr Journalisten verhaftet, hat ein reformerisches Ministerium extra einen Topf für den Freikauf gebildet. Doch das Spiel kann nicht mehr lange gutgehen

Irans konservativer Justizapparat hat der reformfreudigen Presse des Landes den Krieg erklärt. Nachdem das für Presseangelegenheiten zuständige Gericht in den letzten Monaten mehrere Zeitungen mit zum Großteil fadenscheinigen Begründungen schließen ließ, stehen nun die Journalisten selbst unter Beschuß. Die Justiz ließ in den vergangenen Wochen zwei prominente Journalisten verhaften: Mohammad Resa Sohdi, Chefredakteur der reformorientierten Zeitung Arya, und Fereidun Werdinedschad, Chef der staatlichen Nachrichtenagentur Irna und der englischsprachigen Tageszeitung Iran Daily.

Dem Arya-Chef wurde die „Veröffentlichung von militärischen Informationen“ vorgehalten, beim Agenturmann Werdinedschad blieben die Vorwürfe unklar. Laut Irna sollen es 30 Punkte sein. In Teheran wird vermutet, daß Werdinedschad wegen seiner kritischen Haltung zum staatlichen Rundfunk und Fernsehen Irib angeeckt ist. Die Anstalt ist eine der letzten medialen Trutzburgen der Konservativen und ein Hort publizistischer Langeweile. Iran Daily hatte jüngst eine Karikatur gedruckt, in der ein Fernseher als Toilette dargestellt war.

Die verhafteten Journalisten Sohdi und Werdinedschad kamen bald wieder frei – erster nach wenigen Tagen, der Irna-Chef bereits nach sechs Stunden. Und beide verließen die Haft auf Regierungskosten: Der reformorientierte Minister für Kultur und Religiöse Führung, Ataollah Mohadscherani, ließ aus dem Topf seines Hauses umgerechnet rund 230.000 Mark Kaution hinterlegen. Insgesamt hat das Ministerium einen Etat von rund drei Millionen Mark zum „Freikauf“ festgenommener Journalisten eingerichtet.

Das Geld könnte bald knapp werden. In den letzten Wochen wurden Dutzende iranische Journalisten zum Verhör zitiert. Mehrere Chefredakteure und Herausgeber reformorientierter Zeitungen und Zeitschriften müssen sich wegen angeblicher „Verbreitung von Lügen“ vor dem Pressegericht verantworten. Konservative Parlamentarier haben zudem Anfang dieser Woche den Entwurf für ein neues Pressegesetz vorgelegt, wonach sich die aufmüpfigen Medien wieder den strengen Normen der realexistierenden Islamischen Republik Iran unterwerfen sollen.

Mit diesem bizarren Spiel erreicht der Kulturkampf zwischen Irans Theokraten und den reformorientierten Anhängern von Präsident Chatami einen neuen Höhepunkt. Den Anpfiff dazu hatte der mächtige religiöse Führer des Landes und Ikone der Konservativen, Ajatollah Ali Chamenei Mitte Mai gegeben. „Die Feinde der Revolution versuchen uns herauszufordern“, sagte er vor Verlegern und Herausgebern, „wir müssen uns ihnen widersetzen.“

Die Erklärung war eine indirekte Antwort auf Kulturminister Mohadscherani, der kurz zuvor ziemlich genau die gegenteilige Parole ausgegeben hatte: „Wir müssen toleranter gegenüber anderen Ansichten werden. Wir können sie nicht immer bekämpfen“, hatte der erklärt. Indirekt sprach er sich für die Wiederzulassung der vor einigen Jahren verbotenen Satellitenempfangsanlagen aus und zeigte Verständnis, daß sich immer mehr Jugendliche in den zwei Teheraner Internet-Cafés tummeln. Chamenei und seinen konservativen Getreuen gilt beides als „satanisch“.

Mohadscherani ist einer der engsten Vertrauten von Präsident Mohammad Chatami. Seine Aufgabe ist es, das zentrale Wahlkampfversprechen des Regenten umzusetzen: Mehr Freiheit für Intellektuelle, Schriftsteller und Journalisten. Etwa hundert neuen Publikation erteilte er seit seinem Amtsantritt die nötige Lizenz. Die meisten von ihnen sind reformorientiert und werden vom religiösen Establishment als „liberal“ gescholten. Etliche von ihnen hat inzwischen der Justizapparat verboten. Darunter auch die von der Tochter des Ex-Präsidenten Faiseh Haschemi herausgegebene Zeitung San („Frau“). Weil sie einen Neujahrsgruß der Schah-Gattin Farah Diba druckte und eine Karikatur, die die Ungleichbehandlung von Mann und Frau kritisiert, darf das Blatt seit Anfang April nicht mehr erscheinen. Mit Genehmigung aus dem Haus Mohadscherani veröffentlichte die Redaktion im Mai dennoch eine Sonderausgabe.

Daraufhin knöpften sich die konservativen Richter das Ministerium selbst vor: Issa Saharchis, Leiter der für die nationale Presse zuständigen Abteilung, wurde vor ein Revolutionsgericht zitiert und gezwungen, sein Amt niederzulegen. Thomas Dreger

Indirekt plädierte derKulturminister sogar dafür, den Empfang von Satelliten-TV wieder zu erlauben