■ Elektronische Fessel soll durch die Hintertür eingeführt werden: Notwendige und überflüssige Reformen
Eine Justizreform ist mehr als überfällig. Die Länder klagen seit Jahren, die Gefängnisse seien überfüllt, in den Gerichten stapelten sich unbearbeitete Akten. Vor den Zivilgerichten klagt der Mittelstand über die Verfahrensdauer, weil er auf zeitnahe vollstreckbare Titel wegen offener Forderungen existentiell angewiesen ist. Ganz zu schweigen von den unteren Einkommensschichten, für die auch kleinere Summen von Bedeutung sind. Die Diskussion um das Jugendstrafrecht und tatnahe Reaktionen aus pädagogischen Gründen ist noch in aller Ohren. Deshalb fordern viele seit langem eine Reduzierung auf einen dreistufigen Gerichtsaufbau und eine Aufwertung der Eingangsgerichte, damit schon dort qualifizierte RichterInnen nicht nur urteilen, sondern auch den Recht suchenden Bürger von der Entscheidung durch sorgfältige Bearbeitung überzeugen.
Die JustizministerInnen aus Bund und Land haben zur Feder gegriffen und wollen jetzt den Tiger reiten. Kern der kritischen Betrachtung wird die Frage sein, ob damit kein unverantwortlicher Abbau von Rechten und Rechtsmitteln erfolgt. Und die Frage, was die Reform zur Änderung der anachronistischen Strukturen innerhalb der Gerichtsverwaltung beiträgt. Auch muß Managementwissen endlich Einzug in die Strukturen finden. Die richterliche Unabhängigkeit gilt für die Entscheidungsfindung, die Bürostrukturen aber müssen endlich aus dem Dornröschenschlaf erweckt werden.
Beim innenpolitisch umstrittensten Teil der Reform ist die Justizministerkonferenz auf dem falschen Weg! Die Reform der strafrechtlichen Sanktionen soll offenbar klammheimlich durch die Hintertür der Länder der Fachdebatte entzogen werden. So wird die elektronische Fußfessel dem Länderversuch anheim gestellt, weil einige Justizminister diese testen möchten. Tatsache ist: Die Gefangenenpopulation ist nicht vergleichbar mit der im Ausland. Kurze Freiheitsstrafen sind bei uns die Ausnahme. Und selbst die „International Penal and Penitentary Foundation“, eine den UN assoziierte Organisation, hat Zweifel an der Achtung der Menschenwürde und dem Respekt vor dem Privatbereich der „mitinhaftierten“ Familienangehörigen. In den USA mehrten sich die Gewalttätigkeiten der „fußgefesselten“ Täter gegenüber den Familien. Was sich auch mehrte, ist der Profit derer, die private Gefängnisse, elektronischen Hausarrest und Sozialdatenverwaltung verkaufen. Für die Opfer tut sich nichts. Renate Künast
Die Autorin ist Fraktionssprecherin der Berliner Grünen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen