Rechte Winkel vermieden

■ 50 Jahre Waldorf-Pädagogik in Bremen – eine Schule, die von jeher alles anders machte als die staatlichen Schulen und das mit Erfolg, feiert ihren Geburtstag

Eine Riesengaudi herrschte gestern vormittag in der Freien Waldorfschule in Bremen. Gut 400 SchülerInnen zwischen sechs und achtzehn Jahren füllten die Aula, die versammelte Lehrerschaft stand vorn – und sang. „Monatsfeier“ heißt diese Versammlung, auf der einzelne Klassen auf die Bühne gehen und etwas vorführen. Gestern zum Beispiel die 9. Klasse. Sie hatte zwei Wochen ein Praktikum auf dem Bauernhof gemacht und alle Arbeiten kennengelernt, die zur Landwirtschaft dazugehören. Im Anschluß daran hat der Musik-Lehrer eine Klang-Installation eingeübt, in der die Geräusche des Arbeitslebens rhytmisch gruppiert werden – Teller-Geklapper, Heckenscheren, Sägen, Sensen, Tiergeräusche. Selbst als der Russisch-Leistungskurs ein Gedicht auf russisch vortrug, herrschte gebannte Konzentration. Waldorf-Schüler lernen zuhören.

An diesem Wochenende feiert die Schule das 50jährige „Jubiläum“ der Waldorf-Pädagogik in Bremen. Nach den Ideen des Reformpädagogen Rudolf Steiner aus den 20er Jahren sollte schon 1928 eine Schule gegründet werden, damals lehnte das der Bremer Senat ab. 1959 gab es dann endlich eine Erlaubnis, und heute hat die Schule mehr Zulauf als sie aufnehmen kann. Denn sie soll überschaubar bleiben. Ohne persönliche Bindung gibt es nach den Steinerschen Erkenntnissen keine Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die Waldorf-Schule ist eine einzügige Gesamtschule in Schwachhausen, also „gymnasial orientiert“.

Wer an der Waldorf-Schule in der 1. Klasse anfängt, bleibt also in derselben Lerngruppe und hat acht Jahre lang denselben Klassenlehrer bzw. dieselbe Klassenlehrerin. Das Argument, daß ein Pädagoge nur die 7. Klasse unterrichten könne und nicht in der dritten, verstehen Waldorf-Lehrer nicht: „Dabei bleibt man doch lebendig.“

So intensiv die pädagogische Bindung in den Waldorf-Klassen ist, so einzigartig die Architektur: Während in den 70er Jahren die Beton- und Kasten-Architektur staatlicher Schulen entstand, wurde die neue Waldorf-Schule in der Touler Straße gebaut. „Wir vermeiden rechte Winkel“, erklärt die Kunst-Lehrerin Barbara Kreutzer. Begründung: Stereotype Raum-Linien wirken ermüdend.

Jeder Klassenraum hat seine eigene Gestalt: Der Raum für die erste Klasse ist kreisrund und mit warmen Farben gestaltet, der Klassenraum für die 9. Klasse – blau – ist langgestreckt mit einer Schüler-Zone und einer Lehrer-Zone: „Räume schaffen ein Lern-Klima“.

Der Mathe-Unterricht ist anders auf der Waldorf-Schule, „meiner zehnjährigen Tochter macht das richtig Spaß“, sagt die Kunstlehrerin. Kein Junge verläßt diese Schule ohne Stricken gelernt zu haben, sagt Lehrer Hartmut Stahlenbrecher stolz. Begründung: Fertigkeiten der Hände wirken sich positiv auf die geistige Tätigkeit aus. „Fußball dagegen fördern wir hier nicht“, sagt Stahlenbrecher, Fußball stehe für eher archaische, grobe Bedürfnisse.

Die Waldorf-Schüler lernen Fremdsprachen selbstverständlich beim „native speaker“, englisch, französisch, russisch. Malen etwa lernen sie auf einer „Kunst-Fahrt“ auf die Insel Tinos. Und wenn es in der 13. Klasse aufs Abitur zugeht, dann bereiten sie sich auf acht Prüfungsfächer vor. Ganz selbstverständlich. K.W. 12.6.: Tag d.Offenen Tür, 14 Uhr 29.6.: Waldorf-Fachtag, 15 Uhr Waldorf-Schule, Touler Str.3