Dokumente über Tun und Nichttun

■ NDR-Rundfunkrat kippt unliebsame Dokumentation / Autor Bernd Hesslein zu dem Sendeverbot

Die fünfteilige Fernsehdokumentation Wiederbegegnung mit uns selbst. Deutsch-deutsche Legenden von Bernd C. Hesslein darf nicht mehr gesendet werden. Dies hat der NDR-Rundfunkrat, das höchste Gremium des Senders, am 15. Dezember beschlossen (taz berichtete am 8. und 20. Dezember, siehe auch Leserbrief des NDR-Fernsehprogrammdirektors Jürgen Kellermeier vom 21. Dezember).

Nachdem die Reihe bereits dreimal vom NDR ausgestrahlt worden war, ging beim Rundfunkrat die Beschwerde ein: Durch in der Serie vertretene Haltungen zur deutschen Teilungs- und Einigungsgeschichte werde der Staatsvertrag verletzt.

Fragen wie „Es geht darum, ob wir in Westdeutschland von der Demokratie genügend und ausreichend Gebrauch gemacht haben“ oder die Behauptung, man hätte den Morden an DDR-Flüchtlingen vielleicht durch die Anerkennung der DDR Einhalt gebieten können, gaben den Anstoß dazu.

Die Mehrheit der Ratsmitglieder konnte jedoch keine Verletzung des Staatsvertrages feststellen. So einigte sich das Gremium darauf, Hesslein „journalistische Fehlleistungen“ zu bescheinigen.

Bernd C. Hesslein (74) war von 1963 bis 1986 NDR-Redakteur und realisierte die Serie 1994 als freier Autor.

Im Gespräch mit der taz nimmt Hesslein zu dem Beschluß des Rundfunkrates Stellung.

taz: Herr Hesslein, der Rundfunkrat wirft Ihnen „journalistische Fehlleistungen“ vor.

Bernd C. Hesslein: Die Reihe ist insgesamt 150 Minuten lang. Wenn das alles eine „journalistische Fehlleistung“ sein sollte, dann wäre es ja schon reif für das Guiness-Buch der Rekorde! Ich denke, daß es hier eher um Meinungsverschiedenheiten geht: Ich vertrete eine Meinung, der Rundfunkrat hat eine andere. Und die setzt er durch.

Wie sieht Ihre Meinung zur deutsch-deutschen Geschichte denn konkret aus?

In bezug auf unsere jüngere Vergangenheit gibt es eine Tendenz zur Geschichtsverfälschung. Ich bin der Meinung, die Deutschen haben ihr Denken gegenseitig vergiftet und die Teilung selbst vertieft. Auch zu der Aussage, die Einheit sei ohne deutsches Zutun zustande gekommen, stehe ich.

Wie kam es zu der Serie?

Eigentlich hatte ich nur die Idee, Dokumente über unser Tun und Nichttun aufzubereiten. Die Archive sind voll davon, aber niemand wollte sich die Arbeit machen. Nur deshalb habe ich meine Idee auch selbst realisiert, mich also nicht aufgedrängt. Im übrigen ist es die Aufgabe des NDR, eine Bandbreite an Meinungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Und daß Aufzeichnungen der Serie jetzt sogar im Schulunterricht verwendet werden, finde ich sehr erfreulich.

Wie haben Sie von den Beschwerden erfahren?

Bei der ersten Rundfunkratssitzung, bei der das Thema erörtert wurde, war ich noch dabei. Danach bin ich nie wieder eingeladen worden, man hat mich nicht informiert. Da mußte ich richtig recherchieren, um herauszufinden, was eigentlich los ist.

Welche Konsequenzen ziehen Sie nun?

Zunächst einmal bin ich sehr enttäuscht, daß ich vom NDR so schlecht vertreten worden bin. Und mit Hilfe der IG-Medien werde ich jetzt prüfen, ob der Rundfunkrat überhaupt so verfahren darf. Und ich werde sowas im NDR nicht mehr machen. Ich kann mich schließlich auch anders betätigen.

Fragen: Nele-Marie Brüdgam