Der Spion als Konsumenten-Gott

■ Ein Rückblick aus Anlaß seiner Wiederauferstehung: Anfänge, Legende und Triumph des Mister James Bond

James Bond, das ist so etwas wie Tarzan. Solchen Legenden der Populärkultur muß man niemals direkt in Büchern oder Filmen begegnet sein und weiß trotzdem sofort, wovon die Rede ist. Viel klarer aber als Tarzan oder etwa Robin Hood wurde James Bond zu einer Art Gesellschaftsbarometer mit Idolfunktion. Seit er 1962, verkörpert durch Sean Connery, in James Bond – 007 jagt Dr. No sein erstes Filmabenteuer zu bestehen hatte, war der Geheimagent des Secret Service mit der Lizenz zum Töten zum ultimativen Helden des Westens aufgestiegen, der im Kino alle zwei Jahre die Welt vor größenwahnsinnigen Terroristen und vor allem dem Kommunismus zu retten hatte.

Dieser Spion war ein gemeiner Sexist, in vielen Filmen Rassist, Konsumenten-Gott, Zyniker, Mörder und ein Hedonist ersten Ranges. Denn 007 hatte keine Skrupel, noch Glauben oder Moral; und wenngleich er auch die beste Waffe des Kapitalismus im Kalten Krieg darstellte, war er weder Antikommunist, Demokrat, Nationalist oder sonstigen Ideologien verschrieben. Er war Bond, James Bond, der Einzelgänger schlechthin und zugleich, wie ein Kritiker zusammenfaßte, „ein gehorsamer Untertan und ein blindes, aber hochentwickeltes Kampfinstrument, dem die Autorität das Gewissen ersetzt“. Daß er zudem seine Aufträge eher lustlos, wie eine lästige Pflicht und Garantie seines luxuriösen Lebensstils, ausführte, wurde sein Markenzeichen. Diese zynische, mit skrupelloser Souveränität gepaarte Teilnahmslosigkeit, mit der er einen Gegner in die gefüllte Badewanne schleuderte, eine elektrische Heizsonne hinterherschickte und dann „Ist ja widerlich!“ kommentierte, war vor ihm keinem großen Kinohelden gestattet gewesen.

So war James Bond in der Tat Ausdruck einer – wenn man es so nennen will – Überlegenheit des Kapitalismus: Denn während es für kommunistische Systeme offenkundig problematisch würde, wäre das Gros ihrer Bevölkerung annähernd ideologisch desinteressiert, hedonistisch, ohne Moral und egozentrisch bis ins Mark, war es in der westlichen Welt völlig ungefährlich, ja fast dienlich, den König dieser Eigenschaften als allgemeinen Heroen zu verkaufen. Darin lag vielleicht Bonds größter Triumph.

In diesem Sinne war und ist letztlich jede Kontroverse der Systeme oder Weltzerstörungsängste, alle inhaltlichen Wendungen und jede Figur in einem 007-Film nur bloßer Vorwand, eine Art Riesen-MacGuffin für das übliche Sex & Crime-Spiel. Spannung versprechen dabei allein die ewigen zwei Fragen, die wie eine gefräßige Maschine mit immer neuen ästhetischen und inhaltlichen Attraktionen gefüttert werden müssen: Auf welche aufsehenerregende Weise wird Bond in lebensgefährliche oder weltbedrohende Klemmen gebracht? Und mit welchem noch spektakuläreren Dreh wird er sich und den Planeten herausretten?

Nach der inneren Logik eines 007-Abenteuers war es darum auch nicht weiter schwer, im Zuge der Entspannung nach und nach das kommunistische Feindbild gegen größenwahnsinnige Kriminelle als Gegenspieler auszutauschen. Außerdem war ja auch Auric Goldfinger seinerzeit nicht unbedingt Beton-Stalinist gewesen.

Denn Bonds wahres Problem lauert als Übermacht an Action-Konkurrenz im Kino. Schließlich waren nicht zuletzt diese aufbegehrenden Nachfahren dafür verantwortlich, daß der Urahn seit Lizenz zum Töten sechs Jahre auf seinen nun 17. Einsatz in Goldeneye warten mußte. Jan Distelmeyer