Mit Himbeerröllchen Lebenslügen aufdecken

■ Anfang der 80er Jahre feierte es Triumphe, bald ist das Mutterprogramm des schwulen Kabaretts zurück: Corny Littmann und Gunter Schmidt in Wetten, das ist Frau Witten?

Eigentlich braucht Herr Witten (Corny Littmann) nur Möbelpolitur. Seine Mutti hat sich angesagt und wird beim schwul alleinlebenden Söhnchen wieder unter alle Häkeldeckchen spähen. Als Retterin ist Frau Schmidt (Gunter Schmidt) zur Stelle. Frau Schmidt ist immer zu Hause, hat immer Möbelpolitur – und große Lust auf einen lauschigen Fernsehabend mit dem netten Nachbarn. Die Himbeerröllchen werden rausgeholt, der Fernseher eingeschaltet, und alles ist bereit für einen unterhaltsamen, hintergründigen Abend zwischen bundesdeutscher Fernseh-Hochkultur und Klatsch-Niederung.

Als sich Corny Littmann und Gunter Schmidt 1980 dieses flegelige Kontrastprogramm zum nivellierenden Ende der bewegten 70er Jahre ausdachten, waren sie längst einschlägig vorbelastet: Mit der Gruppe Brühwarm gehörten sie schon vor 20 Jahren zu den Superstars der alternativen Theaterszene und spielten in ausverkauften Kulturzentren, Jugendclubs und Turnhallen zwischen Flensburg und München. Die schrillen Musikstücke der Brühwarms mit den Songs von Ton Steine Scherben hatten Kultstatus. Und auch Wetten, das ist Frau Witten, die erste Produktion nach der Auflösung der Brühwarms unter dem neuen Dach der Familie Schmidt, geriet zum Hit. Von 1980 bis 1982 wurde das Damen-Drama über 200mal im ganzen deutschsprachigen Raum gespielt.

Vor 15 Jahren entsprach der Dialog zwischen herrisch-launischer Politur-Samariterin und anbiedernd-mauligem Nachbarn genau dem Nerv der Zeit: Hier wurde nicht nur die Spießigkeit der Hetero-Normalwelt aufs Korn genommen, sondern auch die Spießigkeit der Schwulen. Längst war die zweite deutsche Schwulenbewegung so weit, auch sich selbst mit kritischem Blick zu betrachten.

Nicht nur tratschend und die Urlaubs- und Sexgewohnheiten der Bekannten durchhechelnd, verbringen Frau Schmidt und ihr Nachbar den Abend: Sie singen auch, und wie. Die Melodien im breiten Spektrum zwischen Friedrich Hollaender und Degenhardt haben sie mit Texten zwischen reinem Quatsch und aufrechtem Agit-Prop versehen, die heute den Abend zwar am deutlichsten in der Uraufführungszeit von vor 15 Jahren verankern, aber auch den Unterhaltungswert noch steigern. Fraglich ist, ob immer noch Klemmschwestern Weinkrämpfe bekommen werden, weil hier ihre Lebenslügen schonungslos aufgedeckt werden. Fraglos bietet dieser Abend aber einen der unterhaltsamsten Dialoge deutscher Klein-Bühnenkunst – und zwei Darsteller, die als Frau Schmidt und Herr Witten deutlich zeigen, daß manchmal auch Bühnenkunst wie guter Wein gut altert.

Thomas Plaichinger

Premiere, 4. 1., Schmidts, 20 Uhr