Tyrann Waschlappen

■ Jossi Wieler inszeniert Shakespeares „Wintermärchen“ als schlingernde Langfahrt der Persönlichkeitssprünge

So richtig stimmt nichts mit Leontes, dem König von Sizilien. Warum er so ist, wie er erscheint, wird in Jossi Wielers Cocktail-Shaker mit jedem Schüttler unklarer. Anfangs noch berechnender Jähzorn, eines echten Despoten würdig, unterhält sich die Welt schon bald mit dem Wahn ohne Goldrand eines rasenden Bürgerlichen. Im Verlauf der weiteren Inszenierung verwandelt sich der eifersüchtige Unheilstifter vom falschfarbigen Zappelphilipp, dessen Gesichtsröte durch unkönigliche Verrenkungen willentlich hervorgepresst werden muß, zum Tyrann Waschlappen, schließlich zum begossenen Pudel und Maniker der Reue, der aber endlich – „Flups“ – seine ganz Souveränität wiederfindet, sobald das Schicksal ihm besser will. Soviel Mühe sich André Jung auch gibt – all diesen Früchtchen echte Kontur zu geben, kann gar nicht gelingen, und am Ende bleibt folglich nichts als royalistische Soße von seiner Figur übrig. Und ein Publikum, das von den drei Stunden Theater „not amused“ war.

Denn Shakespeares Wintermärchen, in Zeiten der Originalitätsentwertung durch Shakespeare-Inszenierungen im Minutentakt sicherlich nicht das seiner Stücke, auf das man sehnsüchtig gewartet hat, sollte doch wenigstens entschieden sein, ob es denn jetzt eine Farce oder eine Tragödie mit Happy-End sein will. Jossi Wieler aber schlingert zwischen Ernsthaftigkeit und satirischer Kritik hin und her und verweigert so dem Unsinn wie der Besinnung gleichermaßen die Entfaltung.

Zwischen einigen schönen Bildern und Bühnen, die von Anna Viebrock renaissancehaft mit Jetztzeitritzen entworfen wurden, kommen auch die anderen Anwesenden dieser wunderlichen Familien-Soap um vermeintlichen Ehebruch nicht recht in Fahrt. Die guten Häute mit falschen Bärten des Leontes, Edelleute, die ganz unedel wider besseren Wissens nicht den Gehorsam verweigern wollen, hätten ebenso etwas Interpretationspfeffer verdient wie die allzu schnuckelig und brav gezeichneten Schäfer, denen die shakespearesche Liebe zur Nebenfigur anscheinend keine inspirierende Hilfe war.

Zwei Mimen immerhin gelingt es, die Publikumsbeteiligung in Form von Interesse zu wecken: Marion Breckwoldt als aufrichtiges Trampel mit dem Herz auf der Zunge und Peter Roggisch als feinfühliger Nestor der Familienzusammenführung Camillo. Aber selbst besser gelungen ist all das nichts, was man sich von Jossi Wieler wünschen könnte. Seit Jelineks Wolken.Heim. wartet das Theatervolk eher auf etwas, das ähnlich schräg und intelligent daherkommt wie diese Deutschland-Revue der anderen Art. Einen schwierigen Text für Herrn Wieler, bitte!

Till Briegleb