Frohe Weihnukka!

■ Jüdische Familien im Ausnahmezustand: Ein gewisser Herr Jesus hat Geburtstag Von Daniel Scheffer

„Wie, ihr habt kein Weihnachten?“, fragt mich meine Kommilitonin besorgt, als ob ich mich mit einer schwer-ansteckenden Krankheit geoutet hätte, „aber ihr seid doch Deutsche. In Deutschland haben alle Menschen Weihnachten!“. Weihnachten und die jüdisch-deutsche „Normalität“: Alle Jahre wieder stellt der Geburtstag eines gewissen Herrn Jesus von Nazareth einen Ausnahmezustand für jüdische Familien dar.

Unausweichlich konfrontiert uns der Dezember mit der Tatsache, daß wir in einem christlichen Land leben. Christlich nicht im Sinne von gottesfürchtig oder kirchentreu gemeint – Pardon, bajuwarische Kruzifixradikalisten ausgenommen –, sondern im Sinne einer kulturellen Unkenntnis gegenüber nichtchristlichen Minderheiten.

Ich spreche mich nicht gegen diesen Feiertag aus. Auch sehe ich gerne die geschmückten Tannenbäume, liebe den Geruch gebrannter Mandeln auf traditionellen Märkten und freue mich, über die Einkaufsstraßen im vorweihnachtlichen Licht zu schlendern. Doch alles hat seine Grenzen. Daß man Jude und Deutscher sei, scheint – vielleicht – noch verständlich, aber kein Weihnachten feiern, das ist unmöglich. „Normalität“?!

Die Invasion der weißbärtigen Männer mit den roten Gewändern, die allüberall zu uns sprechen, hinterläßt auch ihre Spuren in jüdischen Familien. „Bekomme ich auch einen Adventskalender?“, fragen jüdische Kinder ihre Eltern, nachdem sie die Schokolade gesehen haben, die ihre Klassenkameraden aus ihren Nikolaustüten essen. „Warum haben wir keinen Weihnachtsbaum?“ und „Kriegen wir trotzdem Geschenke?“

Der Wunsch nach Wahrung der eigenen kulturellen Identität und die Sorge, daß ein Kind ohne Weihnachtsfest bei Klassenkameraden zum Außenseiter gerät, erfordert die Kreativität jüdischer Eltern. Da paßt es gut, daß das jüdische Chanukka-Fest meistens in die Weihnachtszeit fällt.

Zum Gedenken an den Aufstand der Makkabäer gegen die Unterdrückung der Hellenisten feiern Juden Chanukka. Der achtarmige Leuchter, die Chanukkia, erinnert an ein Wunder: Acht Tage reichte das Öl für die Lichter zur Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels. An jedem Tag des achttägigen Festes wird eine Kerze mehr angezündet. Mittlerweile sind für viele jüdische Familien das „Weihnucka-Fest“ oder der „Chanukka-Mann“ das Ergebnis einer notwendig erscheinenden Symbiose.

Stolz berichtete mir neulich eine Frau, daß sie schon seit langem mit vielen Juden befreundet sei und die sich „toll integriert“ hätten. „Und wie finden Sie die jüdischen Feiertage?“, fragte ich interessiert. „Darüber reden wir nicht.“ Man schicke den Freunden einfach die „üblichen Weihnachtskarten“ und, so fuhr sie selbstsicher fort, „schließlich machen wir das auch mit den Mohammedanern“.

Apropos Weihnachtsgrüße. Zu dieser Jahreszeit erreichen die Wünsche zum „gesegneten Fest“ meine Familie in den unterschiedlichsten Formen und Größen. Meist ist es das Motiv eines leichtbekleideten Babys in einer kargen Krippe, aber auch die musikalische Untermalung von „Stille Nachte, Heilige Nacht“ kann Träger der so frohen Botschaft sein.

Wir freuen uns über diese Karten, kommen sie doch von Herzen. Und alle Jahre wieder baut mein Vater, einer preußischen Tugend folgend, sie dekorativ im Wohnzimmer auf. Daß keiner unserer Freunde und Bekannten daran denkt, daß wir vielleicht einen jüdischen Feiertag haben, erstaunt, wissen doch alle, daß wir jüdisch sind. Aber in diesem Jahr haben wir eine Chanukka-Karte bekommen – aus den USA.

Soll die sogenannte Normalität in unserem Land so aussehen? Wenn die Ignoranz jüdischer Feiertage „Normalität“ darstellt, dann verzichte ich lieber darauf. Für jüdisches Leben in diesem Land kann nicht genügen, als Minderheit geduldet zu werden. Bestandteil bundesdeutscher Realität sind Christen, Moslems, Buddhisten, Juden, Atheisten und viele andere. Selbstverständliche Akzeptanz ist die zwingende Voraussetzung, daß kulturelle Vielfalt nicht zur monotonen Einfalt wird. Nicht nur zur Weihnachtszeit müssen wir begreifen, daß Lebensqualität keine Konsumgröße ist, auch daran gemessen wird, wie wir miteinander umgehen.

Daß jüdische Identität gewahrt bleibt, ist Aufgabe der Juden. Daß jüdische Kultur in Deutschland einen Platz hat, Aufgabe der Nichtjuden. Vor der Massenvernichtung des europäischen Judentums wurden jüdische Feiertage und Feste in diesem Land gefeiert. Sie sind nicht nur Teil einer gemeinsamen Vergangenheit, sondern auch Symbol gemeinsamer Zukunft. In diesem Sinne: Fröhliche Chanukka!

Daniel Scheffer ist Mitglied der Jüdischen Organisation Norddeutscher Studenten