Losung: „Ihr seid das Salz der Erde“

Ein fünf Meter hoher Berg aus fünfhundert Tonnen Salz wird am kommenden Mittwoch auf dem Schloßplatz in Stuttgart aufgeschüttet sein. Viele Menschen, manche in Sandalen, werden wohl ergriffen und staunend zugleich davor stehen. Der Anlaß der knapp fünftägigen Versammlung ist der 28. Deutsche Evangelische Kirchentag. Die Losung heißt: Ihr seid das Salz der Erde.

Der Satz aus der Einleitung der Bergpredigt (Matthäus 5,3) läßt Raum für viele Interpretationen, soll „Ermutigung und Einladung“ sein – und ist somit passend für das 50jährige Jubiläum dieser evangelischen Massenveranstaltung, die sich stets als gesellschaftlicher Impulsgeber verstanden hat. Im Mittelpunkt des Happenings mit seinen über 2.300 Einzelveranstaltungen steht das Thema Zukunft – des Glaubens, des Menschen und die der Gesellschaft. Konkret geplant sind Vorträge über Gentechnik, Globalisierung und Gott und die Welt.

Das Programmheft ist so dick wie unübersichtlich – letztlich ist jedes Thema vertreten, das in den vergangenen Jahren in irgendeiner Diskussionsrunde in Deutschland in einem Nebensatz gestreift wurde. Allein am Sonnabend zwischen 16.30 Uhr und 18 Uhr kann gewählt werden zwischen „Kinder als Armutsrisiko“, „Minenräumung und Wiederansiedlung“, „Gibt es Hoffnung für Lesben in der Ökumene?“ und „Ikonen, Fenster in die Ewigkeit“ – um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Bis zum Mauerbau 1961 war der 1949 ins Leben gerufene Kirchentag auch so etwas wie eine gesamtdeutsche Klammer. 650.000 Menschen kamen 1954 zur Schlußversammlung des Kirchentages in Leipzig. Anfang der siebziger Jahre drohte er zur Insiderveranstaltung zu verkümmern. 1973 verloren sich nur noch siebentausend Besucher in den riesigen Messehallen Düsseldorfs. Das Protestantentreffen galt als altmodisch und frömmelnd.

Mit dem Markt der Möglichkeiten öffnete sich die Kirchenveranstaltung 1975 für Initiativen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Friedens- und Ökologiedebatten nahmen dort ihren Anfang. Das Publikum wurde jünger und bunter. Vor allem grüne Anliegen haben auf Kirchentagen immer ein gutes Forum gefunden. Seit Anfang der achtziger Jahre überfluten alle zwei Jahre jeweils mehr als hunderttausend TeilnehmerInnen die Kirchentagsorte.

In Stuttgart werden unter den Gästen auch der neue Bundespräsident Johannes Rau und Verteidigungsminister Rudolf Scharping sein – politische Prominenz hat den Kirchentag immer dafür genutzt, sich nachdenklich und reflektiert zu zeigen. Das Zusammenwachsen von Ost und West wird, wie schon in Leipzig vor zwei Jahren, ein wichtiges Thema sein. In den politischen Diskussionen wird jedoch vermutlich ein anderes Thema im Vordergrund stehen, bei dem der Kirchentag wohl wirklich ein Gradmesser für das gesellschaftliche Gemurmel sein wird: die deutsche Beteiligung am Krieg im Kosovo. Georg Gruber