Kurdin, Alevitin, Abgeordnete

■ Gülsen Iletmis (SPD) ist die erste Migrantin in der Bremer Bürgerschaft / „Du machst unseren Kindern die Türen auf“, gratulieren ihr jetzt viele Einwanderer

Vor Glückwünschen kann sich Gülsen Iletmis im Moment kaum retten: „Zuhause steht das Telefon nicht mehr still“, lacht die 47jährige Sozialdemokratin. Am Sonntag ist die gebürtige Kurdin als erste Migrantin der Gastarbeitergeneration in die Bremische Bürgerschaft gewählt worden. „Total gefreut“ hat sie sich – und hofft, „daß ich etwas verändern kann, daß es nicht nur bei Forderungen bleibt.“

Die 47jährige ist seit zehn Jahren Geschäftsführerin des Dachverbandes der Ausländer Kulturvereine in Bremen (DAB). Eine Arbeit, die sie neben dem Mandat unbedingt halbtags weiterführen will. Im neuen Amt will Gülsen Iletmis auf die Probleme der Migranten verstärkt aufmerksam machen. Ihr Leben, sagt sie, ist geprägt von der Erfahrung in der Minderheit zu sein: „Als Kurdin, als Alevitin, als Frau, als linke Politikerin.“

Eine politische Karriere hätte sich Gülsen Iletmis früher nicht träumen lassen: Vor 27 Jahren kam sie als Gastarbeiterin nach Deutschland, wollte sich so ein Medizinst

udium in der Türkei finanzieren. Aus den geplanten drei Jahren Deutschland wurden mehr. Gülsen Iletmis brachte sich als Fabrikarbeiterin und als Putzfrau durch. Schwarzwald, München und Bremen waren die Stationen. „Eine Lebensschule“, sagt sie heute – und ein reicher Erfahrungsschatz für ihre Arbeit mit MigrantInnen. 1981 kam ein Bruch. Mit dem Militärputsch in der Türkei wurde für sie klar: Dahin würde sie nicht mehr zurückkehren. Aus ihrem Traum vom Medizinstudium in Istanbul wurde schließlich ein Diplom der Wirtschaftswissenschaften in Bremen.

Ihren türkischen Paß hat Gülsen Iletmis schon vor Jahren gegen einen deutschen getauscht – „weil ich mich einmischen möchte, und mitbestimmen.“ Ohne Paß, sagt sie, ist man von vielem ausgeschlossen. Eine passive Rolle ist nichts für sie. „Ich muß immer in Bewegung sein, bin immer neugierig“.

Die Wahl in die Bürgerschaft ist für Gülsen Iletmis „ein Stück weit Anerkennung“ für ihre bisherige Arbeit. Von den MigrantInnen, die ihr jetzt Glück wünschen, haben viele gesagt: „Du machst für unsere Kinder die Türen auf.“ Sie selbst sagt: „In vier Jahren sitzen hoffentlich mehr Migranten im Parlament.“ Dabei räumt sie ein: „Die Gesetze werden in Bonn gemacht, trotzdem wünsche ich mir, daß ich an ihrer Ausführung etwas ändern kann“. Kritik hat Gülsen Iletmis insbesondere am Einbürgerungsverfahren. „Die könnten schneller und unbürokratischer ablaufen.“ Auch wünscht sie sich, daß Migrantenkinder zweisprachig aufwachsen können – und die Sprache ihrer Eltern beherrschen. Sie selbst hat keine Kinder. „Leider.“ Aber sie bedauert heute noch, daß sie ihre Großeltern nie richtig verstanden hat. „Die sprachen kurdisch, ich wurde auf türkisch erzogen“.

Und was hält die Bremerin von Cem Özdemir, dem ersten Migranten im Bundestag? Pause. „Den finde ich gut.“ Pause. „Aber ein Vorbild ist er für mich nicht“. Özdemir ist nämlich in Deutschland aufgewachsen – und Iletmis fühlt sich mehr von den sozialen Strukturen ihres Herkunftslandes geprägt. Sie kennt die Probleme und Nöte der ersten Einwanderergeneration aus erster Hand.

Für die Kurdenfrage begann die couragierte Politikerin sich erst während des Studiums in Deutschland zu interessieren. Das erste Buch, das ihr dazu in die Hände fiel, war allerdings weniger politisch als erwartet: Mit Wörterbuch hangelte sie sich durch Karl Mays Durchs wilde Kurdistan. Sie lacht noch heute: „Da habe ich über Kurden wenig erfahren.“ Kurdenpolitisch ist die künftige Abgeordnete mittlerweile in der Komkar verankert – einer sozialdemokratischen kurdischen Partei, die sich deutlich von der PKK abhebt.

Vor allzuviel Politik haben die Eltern sie gleich nach der Wahl schon gewarnt – per Anruf aus der Türkei. „Die sagen, paß auf, daß Dein Leben nicht noch hektischer wird“, berichtet Iletmis. „Aber sie haben sich riesig gefreut, daß ich den Sprung ins Parlament geschafft habe.“ Dorothee Krumpipe