Am Arsch der Welt

■ Hingehen! Nur noch bis Sonntag ist im „Ristorante Immortale“ im Theater am Leibnizplatz wundervolles Maskentheater aus Essen zu sehen

Irgendwo am Arsch der Welt, noch weit hinter jenem gottverlassenen Örtchen, wo die Füchse sich allabendlich ihr „Gute Nacht“ zugähnen, liegt das Ristorante Immortale. Fünf Schwingtüren, drei Stühle, ein Tisch – das Reich der fünf Bediensteten ist klein, übersichtlich. Und ziemlich öde. Denn tagaus und -ein studiert der sonnenbebrillte Chef geschäftig die Speisekarte, poliert der eitle Oberkellner das Tablett, rührt die fette Köchin den Eierteig, deckt der alte Ober mit dem unbedarften Kellnerazubi den Tisch. Und allabendlich schließt sich der rote Vorhang, ohne das jemand das Restaurant besucht hätte. Kein Gast, nirgends.

Und auch kein Wort, nirgends. Denn die Belegschaft des Ristorante ist stumm, verzieht nicht einmal eine Miene. Wozu auch. Denn auch mit den Mitteln des Maskentheaters und der Pantomime vermögen die hinter Masken mit gigantischen Nasen verborgenen DarstellerInnen – allesamt AbsolventInnen der Essener Folkwang-Hochschule – von den Abgründen des Lebens allerhand zu erzählen.

Der Azubi (Björn Leese) lernt schnell, daß Kreativität die Mißgunst der Phantasielosen weckt. Der Oberkellner (Hajo Schlüter) muß erfahren, daß Erfolgsstreben einsam macht. Der Chef (Michael Vogel) wird gefürchtet, aber nicht geliebt. Und der listig-hintergründige Alte (Pablo Gonzalez) schließlich, der die ihm verbliebene Zeit nicht mit Albernheiten vergeuden will, blickt irritiert auf das eitle Treiben seiner Kollegen und kann sich dem doch nicht entziehen. Denn er weiß, daß sein Dasein ohne diese allzu menschlichen Menschen ringsum aller Skepsis zum Trotz ein trostloses wäre.

Einzig die wunderbar akkordeonspielende Köchin (Ilka Vierkant) hat keine Probleme damit, ihren Frohsinn inmitten dieser irren Männerwelt unbeschadet zu verteidigen. So wie Sisyphos, der ein Felsstück stets von neuem auf einen Berg wälzen mußte, von dem es kurz vor dem Gipfel immer wieder hinabrollt, so verteidigt sie jeden Tag aufs Neue mit gezielten Schlägen auf die Hinterköpfe aller Eindringlinge ihr Küchenreich, wissend, daß das bis zum letzten Omelett so bleiben wird.

Daß im Theater am Leibnizplatz inmitten dieses perfekt inszenierten Psychodramas zudem Kastagnettentänze mit Untertellern vollführt und wie aus dem Nichts und einem Korb, Wäscheleine, Teppichklopfer und Besen ein Schiff auf hoher See auf die Bühne gezaubert werden, macht diese hinreißend witzige und poetische Inszenierung in jeder Hinsicht zum Genuß.

Soviel haben wir gelernt: Leben im Ristorante Immortale heißt, was ein erfülltes Leben summa summarum wohl immer heißt: den ganzen Tag am Arsch der Welt vollständig sinnlosen Tätigkeiten nachzugehen – aber das mit großer Hingabe. Wunderbar!

Franco Zotta

P.S.: Am Ende nicht sofort aufspringen! Womöglich verpaßt man dann noch die musikalische Zugabe, dargeboten auf Kochtopf, Bratpfanne, Besen und Backform!

Heute und morgen um 19.30 Uhr im Theater am Leibniplatz