Die dunkle Seite der Professionalisierung

■ Interview mit Hans-Ulrich Grimm, Autor des Buches „Der Bio-Bluff“

Hans-Ulrich Grimm (Jahrgang 1955) war von 1989 bis 96 Spiegel-Redakteur. Inzwischen lebt er als freier Autor in Stuttgart. Bislang hat er „Die Suppe lügt“ (1997) und „Vorsicht Geschmack (1998)“ (zusammen mit Udo Pollmer und Cornelia Hoicke) veröffentlicht. Sein neues Buch heißt „Der Bio-Bluff“ und ist Anfang dieses Jahres im Hirzel-Verlag erschienen.

taz: Herr Grimm, wo kaufen Sie heute ein?

Hans-Ulrich Grimm: Ich geh' nachher zum Biostand auf den Markt. Zum Ökowesen bin ich über den besseren Geschmack gekommen. Daß es auch aus vielen, vielen anderen Gründen sinnvoll ist, hab' ich erst im Laufe der Zeit gemerkt.

Der Titel Ihres neuen Buches verunsichert. Es drängt sich die Frage auf, ob man noch guten Gewissens alle Bio-Produkte kaufen kann?

Es war natürlich schwierig, zwischen den Betrügern und den „Guten“ eine Scheidelinie zu ziehen. Ich denke aber, es ist schon erkennbar, daß es mir nicht darum ging, die Ökos zu geißeln, sondern die, die sich mit fremden Ökofedern schmücken. Andererseits wollte ich natürlich auch bedenkliche Tendenzen bei den „wahren und guten“ Biobetreibern aufzeigen. Tütensuppe aus Biozutaten mit Bio-Label finde ich einfach problematisch. Die Ökos tun sich keinen Gefallen, wenn sie sich ununterscheidbar von den normalen Tütensuppenproduzenten machen.

Aber ist es unterm Strich für die Umwelt nicht besser, wenn gestreßte Singles anstatt zu konventionellen „Dosenfutter“ zu Bio-Fertiggerichten greifen?

Für die Umwelt ist das vielleicht besser. Nur, die wenigsten Menschen sind so moralisch veranlagt, daß sie konsumieren, um die Umwelt zu schonen. Wenn sie aber Fertigsuppen aus dem Ökoladen kaufen, die schlimmer schmecken als die schlimmste Mehlpampe von der Großmutter, dann fragen sie sich doch: Warum soll ich eigentlich Bioprodukte kaufen? Konventionelle Lebensmittelingenieure sind einfach besser darin, Imitate von Essen zu konstruieren.

War die Erweiterung der Produktpalette in den Naturkostläden nicht maßgeblich, um die Akzeptanz der Bioernährung zu erhöhen?

Ja, aber wichtiger finde ich vor allem die Sortimentserweiterung bei frischem Obst und Gemüse.

Muß das dann automatisch bedeuten, daß es im Winter auch im Naturkostladen italienische Zucchini und Kirschen aus Brasilien zu kaufen gibt?

Saisonwidrige Ernährung und lange Transporte widersprechen natürlich dem Öko-Grundgedanken. Es gibt viele gute Gründe, warum man Lebensmittel nicht über weite Distanzen transportieren sollte. Am Dioxinskandal in Belgien sieht man außerdem, welche gigantischen Folgen die Arbeitsteilung und Industrialisierung in der Lebensmittelbranche haben kann. Vor solchen Fehlern ist auch die Bio-Industrie nicht gefeit, wenn sie sich auf die Praktiken des Food Business einläßt.

Heißt das, Sie kritisieren grundsätzlich die Professionalisierung der Ökoszene?

Nein, aber wenn sie industrielle Ausmaße annimmt wie etwa im Osten auf den Biokolchosen, gehen die Kleinen in anderen Regionen kaputt. Auch die Supermärkte, in denen die Ökoanbieter ja unbedingt vertreten sein wollen, sind so ein Problem. Die Großhändler verlangen große Mengen und versuchen die Preise zu drücken. Beugen sich die Biolieferanten diesem Preisdiktat nicht, fliegen sie raus. Passen sie sich an, besteht die Gefahr, daß die Ökos nach und nach ihre hohen Standards absenken.

In ihrem Buch bleiben Sie dem Leser eine abschließende Einschätzung schuldig, ob es langfristig erfolgversprechende Alternativen zum „Big Business“ im Bio-Landbau gibt.

Ich habe versucht, Probleme aufzuzeigen und Konfliktlinien zu benennen, die es ja durchaus gibt. Ich wollte keinen Katechismus schreiben. Jeder muß für sich selbst entscheiden, wie und was er ißt. Interview: Anke Oxenfarth