Bio-Boom mit Pferdefuß

Kritiker warnen, daß das große Geschäft mit ökologischen Lebensmitteln die Angebotsvielfalt des althergebrachten Nischenmarktes bedroht    ■ Von Anke Oxenfarth

Der Mensch ist bekanntlich, was er ißt. Und wer Biogemüse oder Eier von glücklichen Hühnern verzehrt, tut nicht nur sich selbst etwas Gutes, sondern auch der Umwelt. Kein Wunder also, daß der Umsatz von Bioprodukten entgegen dem rückläufigen Trend im Einzelfachhandel seit Jahren stetig wächst.

1995 gaben die Deutschen 4 Milliarden Mark für Bioprodukte aus. Im vergangenen Jahr waren es schon 5,5 Milliarden Mark. Tendenz steigend. Beobachter rechnen damit, daß sich der weltweite Ökoumsatz in den nächsten zehn Jahren verzehnfachen wird. Die Naturkostszene der Hauptstadt liegt voll im bundesweiten Trend. Hier wetteifern mittlerweile rund 120 Bioläden, verschiedene Einkaufsgenossenschaften und eine ganze Reihe von Biobauern aus Brandenburg auf Wochenmärkten sowie im Direktverkauf um die Gunst der städtischen Öko-Kundschaft.

Auch das in die Jahre gekommene Konzept der Food-Coops scheint in Berlin noch zu funktionieren. Es gibt circa 50 solcher Zusammenschlüsse von Menschen, die mehr Zeit als Geld haben und sich trotzdem ökologisch ernähren wollen. Obendrein erweitern auch hier wie überall im Lande die Supermärkte ihr Biosortiment stetig. Bei soviel Konkurrenz sind natürlich gute Ideen gefragt, um nicht unterzugehen.

Der 21jährige Michael Kutzner hatte eine solche. Er hat sich mit zwei Bioläden in Charlottenburg und Steglitz zu der „Bio-Company“ zusammengeschlossen und im Prenzlauer Berg eine Art Bio-Supermarkt eröffnet. Dort verkauft er seit Anfang dieses Jahres auf 270 Quadratmetern dreitausend verschiedene Bioprodukte zu erstaunlich günstigen Preisen. „Die Leute haben uns vom ersten Tag an die Bude eingerannt“, berichtet Kutzner stolz. „Der Umsatz übertrifft meine kühnsten Erwartungen.“ Am meisten freut den Jungunternehmer, „daß auch ganz normale Supermarktkäufer“ bei ihm kaufen.

Auch Roland Brauer aus Schöneberg hat gute Erfahrungen mit der Devise „Preise runter und Produktpalette vergrößern“ gemacht. Unter dem Motto „Bio-Produkte für Alle“ verkauft er seit 1996 einen Großteil der Produkte bis zu 30 Prozent billiger als die Konkurrenz aus der Nachbarschaft. Brauers Rechnung ist aufgegangen: Sein „Lebensbaum“ gehört zu den zehn Bioläden in Berlin, die jährlich über eine Million Mark umsetzen.

Soviel Umsatz läßt sich natürlich nicht nur mit karger Körnerkost und rein saisonalem Obst- und Gemüseangebot erwirtschaften. Längst wandelt auch die Biobranche auf globalisierten Wegen. Deshalb gibt es auch in immer mehr Naturkostläden bereits im März Bio-Erdbeeren aus Israel. Bio-Aztekeneintopf aus der Dose und Tiefkühlpizza gehören inzwischen ebenfalls zum Standardsortiment, denn auch in der Biobranche bestimmt König Kunde, was in die Regale der Bioläden gelangt.

Dabei bleiben immer häufiger ökologische Kriterien wie Transportaufwand und saisonale Ernährung auf der Strecke. Die Ökoszene ist gespalten: Für die einen sind Biosuppe aus der Dose oder Ökomilch im Tetrapack keine echte Naturkost mehr, für die anderen sind gerade Fertig- und Halbfertiggerichte der Schlüssel zu höheren Umsätzen, weil sie die Erwartungen der gestreßten Single erfüllen.

Beinahe genauso umstritten ist der Verkauf von Bioprodukten in Supermärkten, der sich in den letzten Jahren etabliert hat. Die Kritiker werfen den großen Handelsketten vor, die Früchte zu ernten, die Biobauern und Naturkostläden in jahrzehntelanger, mühevoller Kleinarbeit gepflanzt haben. Die Befürworter begrüßen dagegen das Engagement der Supermärkte, weil sie sich davon mehr Absatzchancen und eine Vergrößerung der ökologisch bewirtschafteten Anbaufläche versprechen. Chemiefreie Landwirtschaft und gesunde Nahrung bald allüberall?