Zittern, Würgen, Weinkrämpfe

■ Ein nützliches Buch informiert über Schmerzensgeldbeträge

Das Amtsgericht Eggenfelden zeigte Verständnis. Die Verletzungen „infolge eines Raufgelages“ hatten einem Bräutigam die Hochzeit gründlich verleidet. Der Gebeutelte konnte wegen seiner „auf das Dreifache geschwollenen Unterlippe die Braut nicht küssen, nur Suppe essen, den Gästen nicht zutrinken“, befand das Gericht Eggenfelden. Außerdem konnte er „wegen der Knieprellungen in der Kirche nicht knien, nicht tanzen und seine Frau nicht über die Schwelle tragen“. Auch Brautnacht und Hochzeitsreise wurden zwangsläufig in Mitleidenschaft gezogen. Dem Kläger, urteilte das Gericht, stehe ein „zeichensetzender Schmerzensgeldbetrag“ in Höhe von 5.000 Mark zu.

Dieser Fall ist ein „Klassiker“ unter den gut 2.100 Entscheidungen deutscher Gerichte, die der ADAC in seinem Dauerbrenner „Schmerzensgeld-Beträge“ (18. Auflage!) aufgelistet hat. Schwerpunkte der Hitliste, unter Experten auch als „Hacks-Tabelle“ nach deren Urheberin bekannt, sind Straftaten und Verkehrsunfälle, aber auch ärztliche Kunstfehler. § 847 BGB regelt den Anspruch des Verletzten auf Gewährung einer Entschädigung für erlittenen Schmerz; von null bis zu einer halben Millionen Mark reicht die Höhe des Betrags.

Auch die mißglückte Dauerwelle ist ein ständiger Grund zum Klagen. Doch die Gerichte urteilen höchst unterschiedlich: Klägerin A bekam für eine „Fehlbehandlung“ keinen Pfennig, Klägerin B immerhin 200 Mark; bei Klägerin C, deren „Frisur optisch stark beeinträchtigend“ mißriet und die deshalb zwei Feiern absagen mußte“, hatte der Frisör schon 800 Mark hinzublättern. Und Klägerin D. schließlich, eine Gaststätteninhaberin, die ihre Kopfhaare völlig abschneiden und 16 Wochen eine Perücke tragen mußte, erhielt 3.000 Mark vom Amtsgericht Duisburg zugesprochen.

Ist die Höhe des Schmerzensgeldes vergleichbar? Der Künstler, dessen „Kaiser-Wilhelm-Bart“ der Frisör bis auf ca. 1 cm Bartlänge stutzte und der infolgedessen unter vorübergehendem Juckreiz litt, wurde ebenso mit 300 Mark abgespeist wie der Nichtraucher, der auf dem Flug von Tokio nach Hamburg heiser wurde „aufgrund des Rauchens Dritter im Nichtraucherbereich“. Und ist der Hörsturz eines 15jährigen Jungen beim Heavy-Metal-Konzert (1.600 Mark) doppelt so schmerzensgeldwert wie die „Ausfallerscheinungen“ der pensionierten Lehrerin „in Form von Zittern, Würgen und Weinkrämpfen anläßlich einer plötzlichen Lärmentwicklung von tieffliegenden Düsenflugzeugen an zwei Tagen“ (800 Mark)?

Je höher der Entschädigungsbetrag, desto weniger lustig die Verletzung: Querschnittslähmung, Schädelkalottenfraktur, komplette Paraplegie, schwere Tetraparese. Der ADAC-Schmöker, dankenswerterweise um ein unfallmedizinisches Wörterbuch ergänzt, bietet tiefe Einblicke in das weite Feld der Schmerzensgeld-Justiz: Operation des falschen Kniegelenks, Trommelfellriß infolge Ohrfeige, Telefonterror mit Beleidigung, Bisse durch Riesenschnauzer und Zwergpinscher, vier Tage unrechtmäßige Beugehaft, Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Veröffentlichung von (Oben-ohne)- Fotos, Angstzustände nach Raubüberfall in Kinderboutique.

Doch oft steht die pekuniäre Wiedergutmachung in keinem Verhältnis zum Schaden. Wie beim Fall eines 19jährigen Mannes. Läppische 7.000 Mark gewährte das Landgericht Mainz dem Unfallopfer (Commotio cerebri, Milzhämatom etc.), obwohl dessen Gleichgewichtsorgan hinfort schon bei der geringsten Zufuhr von Alkohol streikte: „Der Kläger wird Zeit seines Lebens keinen Alkohol trinken können. Er ist im gesellschaftlichen Leben zahlreichen Beschränkungen unterworfen.“ Günter Ermlich ‚/B‘„Schmerzensgeld-Beträge“, 368 Seiten mit CD-ROM, ADAC-Verlag, 98 DM