Mrs. Kitto sang im KITO

■ „Baby Porcelain“ bot am Freitagabend raffinierte Popsongs mit Rachenstimme

Popmusik scheint es seit einiger Zeit fast nur noch aus der Fabrik zu geben: synthetische Boy- oder Girl-groups und Design-Rapper, die von ihren Produzenten genau auf den Zeitgeist getrimmt werden. Um so dankbarer ist man für eine Band wie „Baby Porcelain“, die ihre Songs, Manierismen und Auren noch persönlich zusammenbasteln. Da mag einem der raue Ton der Sängerin Jané Kitto auch ein wenig zu macho klingen (neben der Kopfstimme gibt es offensichtlich auch eine Rachenstimme), aber das wird mehr als aufgewogen durch die raffinierten und durchweg originell durcharrangierten Kompositionen. Das ist nicht etwa „rockiger Blues“, wie die Veranstalter eher drohten als versprachen, sondern eine bunte und sehr abwechslungsreiche Mischung aus amerikanischen und englischen Popstilen. Am ehesten erinnern diese kleinen Songcocktails noch an die schönen Stücke, die Joe Jackson schrieb, als er sich noch nicht zu schade für die Niederungen der Drei-Minuten-Lieder war. Melodisch sehr einfallsreich, meist hymnisch und mit dem feelgood-effect, der das Publikum schnell für die Musiker einnimmt.

Die Australierin Jané Kitto wirkt wie eines der ewigen Hippiemädchen: barfuß auf der Bühne mit wehender blonder Mähne und einem ständig beängstigend hohen Energiepegel beherrscht sie die Bühne, spielt Gitarre und singt mit dieser rauhen Stimme, die an Cher oder Bonnie Tyler erinnert. Wenn der Bassist Tim Tate die Begleitstimme singt, tut er dies meist weicher und in einer höheren Tonlage, und auch sonst wirkt er mit seinem freundlich breiten Grinsen und den grundierenden Baßlinien wie der warme, ruhende Gegenpol zu Jané Kittos wilden Ritten durch die Songs. Diese stetige Reibung machte das Konzert interessant, zudem spielten der US-Amerikaner Tate und der französische Gastdrummer Frank Bessard immer ein wenig jazziger als die Bandleaderin. Dies war „ihre Rache“ (so Kitto in einer Ansage) dafür, daß die Sängerin ohne festes Programm ad hoc entschied, welcher Song als nächster gespielt wurde, so daß die beiden immer blitzschnell hinterherspielen mußten.

Dadurch wirkte das Konzert immer erstaunlich frisch und spontan, auch wenn Kitto und Tate schon seit vier Jahren zusammen spielten. Und man konnte auf der Bühne auch (ein wenig voyeuristisch) Einblicke in ihre nicht nur künstlerische Beziehung nehmen. Was mochte es bedeutet haben, wenn Tate ausgerechnet bei seinem (groß angekündigten) Liebeslied an Kitto am Anfang so falsch spielte, daß er es mittendrin abbrach und nochmal von vorne beginnen mußte?

Und wie gerührt war Frank Bessard tatsächlich, als Jané Kitto als Überraschung für ihn (und natürlich für uns) unbegleitet eine eigenwillige, doch sehr gefühlvolle Version von Rickie Lee Jones' „Chuckie's in Love“ sang? Nie hatte man den Eindruck, die Musiker würden sich wiederholen oder eine Idee totreiten. Popmusik ist auf diesem Niveau alles andere als simpel, selbst wenn sie manchmal eher gekrächzt als gesungen wurde.

Wilfried Hippen