Ich bin Ire. Na und?  ■   Von Ralf Sotscheck

In Irland, wo neben den Europa-Abgeordneten auch die Kommunalvertreter gewählt wurden, war der Wahlkampf äußerst amüsant. Weil die Kandidaten beim irischen System nur über ein Direktmandat ins Parlament oder Rathaus gelangen, schwärmten sie in alle Himmelsrichtungen aus, um sich beim Stimmvieh einzuschmeicheln. Keine Beerdigung oder Hochzeit, kein Einkauf oder Kneipenbesuch ohne einen Wahlstimmenbettler. Selbst zu Hause war man vor ihnen nicht sicher, sie klapperten jede Straße ab und warfen tonnenweise Flugblätter in die Briefkästen.

Die waren allerdings lesenswert, denn es ist durchaus eine Kunst, ganze Seiten völlig inhaltsfrei zu füllen. Maurice Ahern kandidierte für die Regierungspartei Fianna Fáil bei den Kommunalwahlen. Seine Qualifikation: „Habe 22 Jahre lang für meinen Bruder Bertie (den Premierminister!) an Türen geklopft.“ Als älterer Bruder hätte er ihm besser 22 Jahre lang in den Hintern treten sollen, dann würde Bertie (der Premierminister!) jetzt vielleicht nicht Irland ohne Referendum in den Nato-Club „Partnership for Peace“ manövrieren.

Gerard Casey von der Christlichen Solidaritätspartei trat zwar wenigstens gegen „Partnership for Peace“ ein, aber ansonsten ist er eine Knalltüte. Er schwor, daß er sich nicht dafür entschuldigen werde, Ire zu sein, wenn man ihn ins Europäische Parlament wählen würde. Hat man aber nicht. Zum Trost bekommt er einen Autoaufkleber: „Ich bin Ire. Na und?“

Die Autos lagen Fianna Fáils Koalitionspartner, den Progressiven Demokraten, die alles andere als progressiv sind, besonders am Herzen. Der Kommunalpolitiker Desmond Gibney wetterte, der „Qualitäts-Buskorridor“ am Friedhof von Glasnevin sei Unfug, weil die schöne leere Busspur für Autos gesperrt sei. Statt dessen sollte man ihn in „Qualitäts-Transportkorridor“ umbenennen und für Autos mit mindestens drei Passagieren freigeben.

Die größte Oppositionspartei Fine Gael, der „Stamm der Gälen“, der noch weiter rechts steht als Fianna Fáil, versuchte es gar nicht erst mit Pseudo-Inhalten. Man verteilte ein Foto, das aussah, als sei es in einer Klinik für Patienten mit Darmverschluß aufgenommen worden. Es zeigte Parteichef John Bruton und den Kommunalpolitiker Chris Giblin. Darunter stand: „Meine Botschaft an alle Wähler: Stimmt für Giblin.“

Und als der Fine-Gael-Europakandidat Jim Mitchell in unserer Stammkneipe auftauchte und herausfand, daß wir dem Sozialisten Jim Higgins unsere Erststimme geben wollten, behauptete er: „Im Grunde bin ich auch Sozialist, also müßt ihr mich auf den zweiten Platz setzen.“ Beim irischen Wahlsystem numeriert man die Kandidaten nämlich in der Reihenfolge der Präferenz. Die Stimmen der abgeschlagenen Kandidaten gehen dann auf die Nummer zwei über. Mitchell bekam von uns für seine Unverfrorenheit die achtzehnte und letzte Stimme.

In Dublin wird man noch lange an die Wahlen erinnert werden, denn die Plakate hängen, oft fünf Stück übereinander, an jedem Lampenmast der Stadt. Und das wird noch eine Weile so bleiben. Man sollte ein neues Gesetz einführen: Wenn ein Plakat eine Woche nach den Wahlen noch immer am Mast baumelt, wird der betreffende Politiker danebengehängt.