■ Der Kosovo-Krieg wurde, so die Lesart der Nato, um Werte geführt. Jetzt, nach Kriegsende, wird sich zeigen, ob das stimmt
: Die postnationale Nachkriegsordnung

Am Anfang stand das Wort des britischen Premierministers Tony Blair, daß es im Kosovo um einen Krieg der neuen Art gehe, „der weniger um ein Territorium als um Werte geführt wird“. Nun blicken wir auf ein zerstörtes Territorium in der vagen Ahnung, daß sich damit noch kein Wert mit konkretem Leben erfüllt hat. Der Nato-Krieg hat allenfalls einige, wenn auch wesentliche Voraussetzungen geschaffen, daß die Kosovaren ein menschenwürdiges Leben führen können.

Zehn bis zwölf Jahre wird es dauern, um die erzwungene Abwesenheit kriegerischer Auseinandersetzung zur Normalität werden zu lassen, weitere zwölf Jahre, um vielleicht einen zivilgesellschaftlichen Zustand in dieser Region zu erreichen. Nun erst, nachdem die Waffen schweigen, wird sich erweisen, ob dieser Krieg tatsächlich geführt wurde, um der Menschenwürde zum Durchbruch zu verhelfen.

Neu war an diesem Krieg, daß die Nato jede Bombe mit dem Versprechen an alle Opfer der Kämpfe verband, eine bessere Zukunft herbeizuführen. Das gilt es nun einzulösen. Dieser Krieg wurde von der Nato nicht mehr in den militärischen Koordinaten von Expansion und Eskalation geführt. Die von Beginn an sie gerichtete Forderung nach Ausstieg aus der militärischen Logik ignorierte geflissentlich, daß dieser Krieg in keiner Phase von einer rein militärischen Logik bestimmt war, sondern sich in politisch vorgegebenen Bahnen bewegte.

Dieser Krieg wurde geführt, um den innerstaatlichen, ethnisch motivierten Vertreibungen Einhalt zu gebieten. Das globale Aufweichen der nationalstaatlichen Souveränitätsordnung und der Glaube an die Zivilität stiftende Moral der Menschenrechte machen das Kosovo nach Ansicht Ulrich Becks zum Geburtsort des postnationalen Krieges.

Nun stiftet die Moral der Menschenrechte bekanntlich nicht überall Zivilität, wie ein Blick auf die Konflikte in Afrika und Asien zeigt, die keine Intervention provozierten, obgleich doch die Universalität dies überall gebietet. Auch hätte eine rigide verstandene menschenrechtliche Moral nur die Kapitulation und Bestrafung des Kriegsverbrechers Miloevic zugelassen. Daß die Nato ihn letztlich doch als Verhandlungspartner akzeptierte, beweist nicht, daß es mit ihrer Moral doch nicht so weit her ist. Es zeigt vielmehr, daß sie die Falle der absoluten Kriegsbegründung erkannt hat, bevor sie in bedingungsloser Eskalation zuschnappen konnte.

Karl Otto Hondrich hat darauf hingewiesen, daß die Universalität der Menschenrechte gleichermaßen als Unterfutter der Präferenz für das Eigene bedarf, um wirksam zu werden. Deshalb wird nicht in die Konflikte Afrikas interveniert, deshalb wollte die Bevölkerung der Nato-Staaten auch nicht ihre eigenen Soldaten auf dem Boden des Kosovo kämpfen lassen. Welche vitalen Interessen des Westens hätten dies Risiko auch legitimieren können?

Das nationale Interesse, das gern denunziatorisch gegen die Nato-Staaten ins Feld geführt wird, vermochte zumindest keine mobilisierende Wirkung zu entfalten.

Daß aber die Anliegen der Kosovaren nunmehr als eigene begriffen werden, ist eine Qualität des Krieges, die über ihn hinauswirkt. Erst am Nachlassen dieser Fürsorge wird man die keimenden nationalen Interessen erkennen. Die Debatte um die Rückführung der Flüchtlinge aus ihren Gastländern ist dafür ein erster Indikator.

Zudem hat der Kosovo-Krieg eine postnationale Ordnung geschaffen. Die Region wird auf absehbare Zeit nicht mehr von den Kategorien nationalstaatlicher Souveränität beherrscht werden. Die Definition der Territorialität wurde offengelassen, um den Konflikt zu entschärfen, die Machtverhältnisse werden in einem Oligopol verschiedener gesellschaftlicher Kräfte und transnationaler Organisationen austariert werden.

Konkret heißt das: Das Kosovo mag dem äußeren Anschein nach jugoslawisch bleiben, im Kern wird es jedoch auf lange Zeit europäisch sein, weil dies die einzige Verfaßtheit ist, in der sich die ethnischen Konflikte nicht erneut zu Fronten verhärten.

Die ganze Region wird eine Sonderentwicklungszone, die der EU womöglich mehr Geld, Wirtschaftshilfe und Aufbauleistung abverlangen wird, als sie bislang zögerlich im Kontext der Osterweiterung einkalkuliert hat. Dies wird der Preis sein, den die EU für eine Stabilisierung und Demokratisierung der Region zu zahlen bereit sein muß. Und wie sehr die EU mit diesem Preis hadert, wird auch anzeigen, wie es um den Willen zur europäischen Integration bestellt ist.

Welche Lehre bedeutet das Kosovo für die Nato? Viele Chancen zur Konfliktprävention sind in den letzten Jahren vertan worden, zu widersprüchlich war die Haltung gegenüber dem Diktator in Belgrad. Anfangs speiste sich das Nato-Engagement lediglich aus einer rigiden Negativdefinition. Man wußte nur, was verhindert werden sollte – und glaubte, nicht ohne Hybris, dies in wenigen Tagen bewerkstelligen zu können. Mit der Dauer der Luftschläge offenbarte sich die Schwäche des Bündnisses, das vor lauter militärischer Stärke zeitweise politisch nicht handeln konnte.

Waffentechnologisch war die Nato omnipotent, doch gleichzeitig zeigte sich ein eklatantes Unvermögen, die angestrebten Ziele zu erreichen. Das mag dazu führen, daß die Debatte der Nato über ihre militärischen Strategien zukünftig geerdet wird.

Interventionen, wie sie auf dem Washingtoner Gipfel beschlossen wurden, können allenfalls befördern, was sich danach auch politisch umsetzen läßt. Das engt mögliche neue Out-of-area-Einsätze nicht nur territorial erheblich ein. Die Kosovo-Erfahrung wird dazu führen, daß es zukünftig sehr viel seltener zu Out-of-area-Einsätzen kommen wird, als bisher zu befürchten war.

Denn die Nato geht geschwächt aus dem Kosovo-Konflikt hervor, zumindest wenn man die „Partnerschaft für den Frieden“ als Teil des Bündnisses begreift. Das zeitweise Abreißen der Kooperation mit Rußland revitalisierte das Bild der gegen den Osten gerichteten Allianz und führte zu einer regressiven Vitalisierung des klassischen russischen Bündnisses mit Serbien.

Wenn es tatsächlich das künftige Anliegen der Nato ist, ihre Kämpfe um Werte zu führen, sollte sich davon auch Rußland überzeugen lassen. Die Debatte um eine Neuordnung des UN-Sicherheitsrates, mit der künftig Blockaden verhindert werden sollen, wäre dafür eine gute Nagelprobe. Eine Verständigung der Mitglieder des Sicherheitsrates auf einen Wertekanon, an den Veto-Entscheidungen zu binden sind, wäre eine schlüssige Konsequenz aus dem Kosovo-Krieg. Dieter Rulff

Out-of-area-Einsätze der Nato sind eher unwahrschein- licher geworden

Das Kosovo wird zukünftig trans- national verwaltet werden müssen