Kommentar
: In Anführungszeichen

■ Rot-Grün verliert bei den Europawahlen

Man sollte sich davor hüten, aus Europawahlen allzu viel herauszulesen. Denn diese Wahlen sind noch immer ein Zwitter, Wahlen in Anführungszeichen – und damit spiegeln sie die Widersprüche, Ungleichzeitigkeiten und demokratische Halbherzigkeit der EU.

Die politische Hartwährung dieser Wahlen ist nicht europäisch, sondern national. Sie waren ein Test für Rot-Grün und die Union – allerdings einer mit beschränkter Haftung. Denn der Sieg der Union erscheint in blasserem Licht, weil sie bei Europawahlen stets besser als die SPD abschneidet. Umgekehrt besteht für die Grünen, die weniger Prozente verloren als befürchtet, kein Grund zur Entwarnung. Denn sie haben verloren trotz geringer Wahlbeteiligung und trotz ihres treuen, europafreundlichen Stammpublikums.

Das war offenbar die Antwort des pazifistischen Teils des grünen Klientels auf den Fischer-Kurs: Sie blieben zu Hause. So zeigt diese Wahl, bei aller Vorsicht, daß nicht nur die altmodischen, verstockten Teile der grünen Funktionärsbasis gegen den neuen Kurs opponieren, sondern auch manche traditionelle Grünwähler.

Zudem: Die PDS konnte vom dem grünen Schiffbruch profitieren. Auf den lang ersehnten Durchbruch im Westen wartet sie freilich noch immer. Wenn ihr dazu noch nicht einmal ein rot-grün unterstützter „Out of area“-Krieg verhilft – was dann?

Und: Die Deutschen finden Fischer und Schröder so sympathisch wie nie. Doch der Regierung in Kriegszeiten zu vertrauen und ihre Parteien zu wählen, sind zwei Paar Schuhe (Das ging schon Churchill 1945 nicht anders). Alle Versuche der SPD, Schröder als Staatsmann in Kohls Fußstapfen und umtriebigen Europäer zu präsentieren, halfen da nicht.

Schließlich: Die grünen Strategen dürfen sich nun mit einer neuen Frage vertraut machen. Bei Niederlagen machten die Grünen bisher flugs ein paar große Schritte Richtung Mitte. Dort sind sie jetzt unter Fischers Führung angekommen. Und der Wähler, ein launisches, undankbares Wesen, scheint auch das nicht so recht zu honorieren. Daß die Grünen eine ganz normale Partei geworden sind, wußte man spätestens seit die Partei in Bielefeld Fischers Kurs folgte. Jetzt gesellt sich die Einsicht hinzu: Auch staatstragende Parteien können untergehen. Stefan Reinecke