Kommentar
: Herren mit weißen Westen

■ Radsportteam Telekom unter Dopingverdacht

Was haben sie gestaunt und gejubelt, die Radsportfreunde, als Marco Pantani vor zehn Tagen die Dolomiten emporstrampelte, wie mit dem Katapult geschossen, und die gesamte Konkurrenz einfach stehenließ. Fast war alles wie früher, als die Welt der Pedaleure noch nicht häßlich nach verdächtigem Urin roch und schon gar nicht nach gepanschtem Blut. Doch dann war Pantani plötzlich weg, zu hoch der Hämatokritwert, ein vermeintlicher Saubermann weniger.

Macht nichts, sagten die Veranstalter der Tour de France, wir starten trotzdem am 3. Juli. Pantani wollte ja sowieso nicht kommen, und schließlich gibt es genug andere. Richard Virenque zum Beispiel, wenn er bis dahin nicht hinter Gittern sitzt, und vor allem Jan Ullrich, dessen Sponsor Telekom sein Team im letzten Jahr mit dem Anzeigentext „Eine saubere Leistung“ feierte. Die letzte Bastion des reinen Radlers sozusagen. Das glaubte zwar niemand, aber solange die Illusion hielt, war – wie bei Pantani – alles in Butter.

Die Dopingvorwürfe gegen das Team Telekom in der jüngsten Ausgabe des Spiegels zeigen, daß nichts in Butter ist. Mit seiner penetrant vorneweg getragenen weißen Weste hat sich die deutsche Radsport-Mannschaft im Lager der Pedaltreter, die nach außen traditionell als verschworene Gemeinschaft auftreten, nicht gerade beliebt gemacht. Schon häufiger gab es Verdächtigungen in Telekom-Richtung, es fehlten jedoch stets die Beweise. Inwieweit der vomSpiegel präsentierte Medikationsfahrplan tatsächlich der Überprüfung standhält, sei dahingestellt, klar ist, daß es keine Insel der Seligen im Radsport gibt. Klar ist auch, daß ein unbeschwerter Konsum von Radrennen im allgemeinen und der Tour de France im besonderen derzeit nicht möglich ist. Wer in Pyrenäen oder Alpen als Erster ins Ziel kommt, ist heutzutage kein Gigant der Landstraße mehr, sondern macht sich zunächst mal verdächtig. Und die Tour, daran besteht kaum Zweifel, wird auch in diesem Jahr eher eine Kriminalkomödie als ein Sportereignis werden.

Am besten also, man läßt die Sache gleich ganz bleiben, ruft ein Radsportmoratorium aus und überlegt in Ruhe, wie wenigstens ein Hauch von Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werden kann. Mit dem Präsentieren von weißwestigen Saubermännern jedenfalls nicht. Die werden langsam knapp. Matti Lieske