Das Alte Testament, revisited

■ Von Mord und Verstümmelung: Die Residents gastierten auf Kampnagel

Neun Jahre sind vergangen, seit die Residents das letzte Mal auf der Bühne standen. Schaute man sich am Sonntag im Publikum um, konnte man den Eindruck bekommen, die Zeit sei seitdem stehengeblieben: Dreadlocks, Bikerstiefel und das existenzialistische Schwarz bildungsbürgerlicher Theaterfreunde. So beständig dieses Avant-Rock-Publikum, so beständig auch die kryptischen Elektro-Prankster aus der Bay-Area, die sich seit Jahren wieder in die Augapfelmasken geworfen hatten.

Trotz all dieser Traditionspflege konnte man dennoch gespannt sein, hatte sich gegen die Residents in den USA nämlich bisweilen der christlich-fundamentalistische Zorn ob deren ganz und gar unchristlichen Interpretation alttestamentarischer Texte entflammt. „Your arm's too short to box with God“, war auf den Flyern zu lesen gewesen. So standen sie nun fluoreszierend vor einem abstrakten 3-D-Bühnenbild, das in trickreichen Beleuchtungen erstrahlte, während sich der mit einem Industrial-Light-&-Magic-designten Schädel verkleidete Conferencier Mr. Schull und zwei Sänger zu den bekannten neo-orffschen Klängen durch die „bösen“ Bibelgeschichten von Verstümmelung und Totschlag kämpften. Zum Glück war das eher knuffige Disney-Freakshow für Erwachsene als pathetischer Kampf mit inneren Dämonen. Allein: Was 25 Jahre der konsequenteste Anti-Rock war, erinnert heute seltsam an die Rockopern von Gentle Giant oder Genesis. Tobias Nagl