Ideologie & Unterhaltung

Ein wunderbarer Widerspruch: Heute abend wird das 15. Kurzfilmfestival eröffnet  ■ Von Christian Buß

Ein wunderbarer Widerspruch, dieses Festival. Überleben kann der Kurzfilm nur auf einem wie auch immer gearteten Markt, zu Leben erwacht er nur in Opposition dazu. Das Internationale Hamburger Kurzfilmfestival, das von Jahr zu Jahr mehr in die Breite geht, lebt nun schon seit einiger Zeit konsequent diesen Widerspruch aus. In den „No-Budget“-Programmen, die den Ursprüngen der Veranstaltung als Homemovie-Parade vor 15 Jahren Rechnung trägt, gibt es noch immer radikalen und kostenneutralen Trash zu sehen, während die Beiträge im „Internationalen Wettbewerb“ oft komprimierte Mini-Spielfilme für die Multiplex-Leinwände dieser Welt sind.

Um nicht mißverstanden zu werden: Nicht alle Billig-Filme sind inspiriert, nicht alle teuren Produktionen zeichnen sich durch inhaltlich gähnende Leere aus. Und die ideologischen Abgründe, die sich alle Jahre wieder zwischen den Vertretern von Kommerz und den Kommerzverweigerern auftun, sind inzwischen schon schöne Tradition. Selbstzerfleischung, Ausverkaufdebatten oder die eine oder andere Pöbelei während der Preisverleihung zeigen, daß in dieser Kino-Schau noch Leben drin ist. Das muß man den Machern lassen: Ihr Happening ist in dem ansonsten doch arg behäbigen Hamburger Festivalbetrieb die unterhaltende Ausnahme.

Bleiben wir bei dem seltsamen Wortpaar „Ideologie“ und „Entertainment“: Die dänischen „Dogma“-Regisseure haben in den letzten Monaten gezeigt, wie sich in radikaler Opposition zu Hollywood Alarm schlagen und Kasse machen läßt – und daß eine wackelnde Handkamera so manchem special effect den Garaus machen kann. Ob Lars von Trier (Idioten) oder Thomas Vinterberg (Das Fest) – alle heute gefeierten Regisseure aus Dänemark haben ihr Schaffen mit Kurzfilmen begonnen. Die Filmschule des Landes und die Workshops des Danish Filminstitute, deren vorbildliche Förderungsstrukturen auch von Trier und Vinterberg genossen haben, sind dafür verantwortlich, daß es in dem kleinen Land einen enormen Output an international gefeierten Kurzfilmen gibt. Das Festival widmet dem schon mal ganz undogmatischen skandinavischen Kino-Treiben deshalb eine großzügige Sektion.

Wobei hier noch einmal die Legitimierungsproblematik des Kurzfilms manifest wird. Wie kann ein Produkt, das oft nur aus Kulanz anderen größeren Produkten beigestellt wird (etwa als Vorprogramm) eigentlich auf einen allgemein gültigen Wert abgeklopft werden? Durch Auszeichnungen natürlich. Und was ist eine größere Auszeichnung als der Oscar. Gern wird ja darauf hingewiesen, daß die Etüden aus Dänemark regelmäßig für diese Trophäe nominiert sind und daß dieses Jahr sogar eine gewonnen hat. Nun ist Election Night von Anders Thomas Jensen, der heute mit einigem Stolz noch einmal im Eröffnungsprogramm präsentiert wird, nicht unbedingt ein gutes Beispiel dafür, was ein Kurzfilm zu leisten vermag. Sicher, er ist rasant und pointiert wie ein Werbespot. Ausleuchtung, Schnitt, Kameraführung – alles supi. Aber was will uns dieses Lehrstück, das in einer knappen viertel Stunde zeigt, wie sich ein überzeugter Anti-Rassist durch eine Verkettung von Umständen als Rassist entlarvt, eigentlich sagen? Die postmoderne Welt ist schrecklich kompliziert? Wählen ist doof? Wir sind alle nur Gefangene unserer eigenen Vorurteile? Mit Verlaub, diese unter anderem von der Hamburger Filmförderung unterstützte Produktion ist armselig.

Macht nichts, drumherum wimmelt es ja von tollen Filmchen. Um einigermaßen Ordnung in das kinematographische Dickicht der knapp 500 Beiträge zu bringen, wurden wieder verschiedene Blöcke eingerichtet. Zur Übersicht sei der wie immer ordentlich zusammengetragene Katalog empfohlen. Der gibt auch Auskunft über Sonderprogramme wie „Davor & Dahinter“, das sich mit der deutsch-deutschen Wirklichkeit (und deren filmischen Fiktion) auseinandersetzt, oder die eher skurrile Tierfilmsammlung „Können Pferde lachen“. Ein besonderes Highlight ist der Block mit „Flicker“-Produktionen, die in der richtigen Dosierung die Einnahme härterer Drogen während der Festivalzeit überflüssig machen.

Ansonsten gilt: Trinken Sie ein paar Kannen Kaffee und nutzen Sie die Vorführugen zu weniger populären Zeiten in weniger populären Abspielstätten. Ausverkaufte Kinos sind keine Seltenheit, denn durch das Festival ist der kleine Film in dieser Stadt eine große Sache geworden.

Das Kurzfilmfestival wird heute (20 Uhr) im Metropolis eröffnet. Bis zum Sonntag sind hier und im 3001, B-Movie, Studio sowie im Festivalzentrum im Schlachthof Filme zu sehen. Programme liegen an den Kassen aus.