Totenkult im Bremerhavener Stadtbad

■ Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“ feierte an ungewöhnlichem Ort Premiere

Hier ist alles kalt und gespenstisch“. Die Haushälterin Brigitta sagt es gleich am Anfang von Erich Wolfgang Korngolds Oper „Die tote Stadt“. Der Komponist konnte 1920 noch nicht den jetzigen, kalten und gespenstischen Spielort vor Augen haben: das stillgelegte Hallenbad Bremerhaven. Nicht nur eine Notlösung, weil das Theater umgebaut wird, das Thema der Oper schreit geradezu zu nach einem unkonventionellen Aufführungsort.

Heute ist schwer nachzuvollziehen, welchen sensationellen Erfolg dieses geniale Frühwerk eines 22jährigen Komponisten an damals achtzig (!) Bühnen in aller Welt nach seiner Uraufführung hatte. Zu sehr ist die Musik eine – zwar ungemein gekonnte und auch raffinierte – Mixtur aus Debussy ,Puccini, Strauss und einem unverkennbar wienerischen Ton mit einer faszinierenden vokalen Eloquenz. Zudem ist der „Schmalz“ dieser Musik inzwischen Allgemeingut musikalischer Umweltverschmutzung und auch platter Filmmusik. Zu sehr auch gehört das artifizielle Sujet nach dem Roman „Bruges la morte“ von Georges Rodenbach (1892) dem „Fin de siécle“ mit seinem abstrusen Jugendstilsymbolismus an.

Paul hat sich, weil er mit dem Tod seiner geliebten Marie nicht fertig wird, ein Zimmer mit Namen „Kirche des Gewesenen“ eingerichtet. Dort pflegt er ihr Haar, ihren Schal und ihre Laute. Dann verfällt er der Tänzerin Marietta, die der Verstorbenen aufs Haar gleicht, erdrosselt sie im Traum und opfert sich am Ende selbst. Die Aufführung in Bremerhaven ist ambitionert, liefert aber nicht den Beweis, da man dieses Stück wieder und noch aufführen muß. Der inszenierende Intendant Peter Grisebach setzt die Partitur als viel zu direkte Geschichte um. In einer bis heute aufsehenerregenden Deutung hat Günter Krämer 1987 in Düsseldorf aus der Oper einen Psycho-Thriller à la Hitchcock gestaltet. Bei Grisebach erfahren die Dimensionen des Unterbewußten keine szenische Umsetzung und die sexuelle Obsession und Verklemmung Pauls keine Bilder außer dem, daß er ein wenig spießig aussieht. Marietta ist ausschließlich als Verführerin gezeichnet, was im Zusammenhang mit dem Opfertod Pauls, der sich am Ende in einem Feuer mit Blicken gen Himmel wendet, wie eine Diffamierung des Weiblichen wirkt. Die religiösen Erscheinungen sind lasch zusammengestellt, es reicht nicht, daß da Nonnenprozessionen über die grünen Kacheln schlappen. Nicht zu ahnen, welch wichtige erotische Komponente die Religiosität hier spielt.

Indem Grisebach nichts bricht, mehr noch, nichts interpretiert, bleibt wenig übrig. Auch die Raumnutzung gewann keinerlei interpretierende Dimension, blieb in äußerlichen Dingen stecken, wie der Hängung des Marienbildes vom Zehnmeterturm. Das kollidiert mit beeindruckenden Besetzungen der beiden Hauptrollen: Cornelia Ptassek als Marietta und Erscheinung der Marie brilliert in den Anforderungen der Rolle, die die dramatische Leidenschaft und die Duchhaltekraft einer Elektra ebenso umfassen wie die virtuose Koketterie einer Zerbinetta. Fred Silla-Silhanek als Paul vereint überzeugend den Heldentenor mit lyrischem Ohrwürmerschmelz. Osar Quezada als Freund Frank und Pierrot reichte an diese Qualitäten nicht ganz heran. Das Riesenorchester – mit fünf Schlagzeugern, zwei Harfen – unter der Leitung von Peter Aderhold präsentierte schwungvolle Opulenz, was sicher aber nicht die einzige Qualität dieser schon damals anachronistischen Musik ist. Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen: 16., 18., 22., 25. Juni und 1. Juli um 20 Uhr, 3. Juli um 19.30 Uhr. Karten und Infos unter Tel.: 0471/49 001