Poren unter Druck

■ Gabriele Heinz inszeniert Marieluise Fleißers „Der Tiefseefisch“ im Theater 89

Auch so ein Thema dieses Jahrhunderts: die schreibende Frau. Mythos und Märtyrerin, manchmal bis ins Kitschige glorifiziert. Die 1902 geborene Marieluise Fleißer war eine ihrer Pionierinnen. Ihr 1930 entstandenes Stück „Der Tiefseefisch“, das sie 1972 neu bearbeitete, wurde erst 1980, sechs Jahre nach ihrem Tod, uraufgeführt. Der Tiefseefisch ist der schreibende Mann. „Meine Augen sehen in eine Tiefe, für die ihr blind seid. Meine Poren stehen unter einem Druck, den ihr nicht fühlt. In meine Gesetze könnt ihr nicht eindringen. Ich bin ein Tiefseefisch.“

Sagt Publizist Laurenz, der Geliebte der schreibenden Gesine, die von ihm ausgesaugt und unterdrückt wird. Gesine, das ist Frau Fleißer selbst. Und hätte sie sich nicht als Leidensfigur ins Zentrum ihres Stückes gesetzt, sondern bloß von den schreibenden Männer geschrieben, das Stück hätte zum Gegen-Baal, zum echten Enthüllungsdrama männlicher Selbstinszenierungen und Mythos gewordener Künstlerposen der Zwanziger getaugt. So aber ist es oft bloß larmoyant, was schade und ein echter Verlust ist.

Im Theater 89, wo sich nun Gabriele Heinz des Stoffes angenommen hat, spielt man die Fassung von 1972. Maria Brendel ist Gesine, mondän, verzweifelt melancholisch und immer blasser werdend vor dem energiegeladenen Laurenz von Alexander Höchst, der aus seiner Figur einen irrblikkenden Wahnsinnigen macht. Es beginnt in einem ärmlich möbilieren Zimmer, Austattung und Kostüme von Anne-Katrin Hendel eindeutig zwanziger Jahre. Dann fährt die Zuschauertribüne in die Mitte der Fabriketage, Spielstätte des Theaters 89, und man befindet sich plötzlich in einem Loft. Hier tummeln sich eitle Künstler und liefern sich intellektuelle Scharmützel. Jeder will der Größte sein, doch alle sind bloß erbärmlich.

Immer weiter entfernt von ihnen: Gesine, rehäugig, waidwund, einsam. Am Ende ist ihre Karriere ruiniert, zerstört von eifersüchtigen Männern, die Frauen nur als Musen oder Zuarbeiter in ihrer Nähe dulden. Dann blinkt ein Hakenkreuz an der Wand, und die Zuschauer müssen zurück in die Vergangenheit, bis in die möblierte Tristesse des ersten Akts. Dabei begann man gerade, sich zu interessieren, und nun ist man genervt von der politischen Plattitüde.

Laurenz macht Karriere und läßt Gesine fallen. Als Begegnung mit einem unerschlossenen Stück lohnt sich der Abend im Theater 89. Auch wenn man sich doch mehr erhofft hatte. Esther Slevogt

Heute sowie am 25., 26., 27., 29., 30. 6. und 2., 3. 7. ab 20 Uhr, Torstr. 216, Mitte