Das Leben ist ungerecht

Es war einmal ein Roberto Benigni, der schneller war, und es war einmal ein Schtetl ... das es so nie gab: Mit Radu Mihaileanus „Train de vie“ wurde im Arsenal das 5. Jüdische Filmfest Berlin eröffnet  ■ Von Brigitte Werneburg

Das ist der Film, der seinem Hollywood-Remake nicht entgehen wird. Denn sein Plot ist einfach genial, und nachdem Roberto Benigni die Tür zur Holocaust-Komödie weit aufgestoßen hatte und die Stelle der Türpfosten sogar mit zwei Oscars zieren durfte, gibt es keine Rücksichtnahmen mehr, alles noch einmal und natürlich viel fetter, teurer und vermeintlich beeindruckender zu erzählen.

Von „Train de vie“ zu berichten heißt, von der Ungerechtigkeit der Welt zu sprechen. Denn es war das Projekt des jungen Regisseurs Radu Mihaileanu, das Benigni, freundlich ausgedrückt, darauf brachte, „Das Leben ist schön“ zu schreiben. 1996 hatte Mihaileanu nämlich Benigni sein Drehbuch geschickt, um ihm die Hauptrolle des Erzählers anzubieten. Benigni lehnte ab und drehte in kürzester Zeit seinen eigenen Film. Nun hat er seine zwei Türsteher und Radu Mihaileanu – obwohl sein Film schon auf dem 8. Cottbuser Filmfest des jungen europäischen Films im November 1998 lief – noch immer keinen deutschen Verleih.

Nur in diesem Sinne möchte man den Eröffnungsfilm des 5. Jüdischen Filmfestivals in Berlin einen Skandalfilm nennen. In jeder anderen Hinsicht ist er das hinreißend komische und bezaubernd poetische Märchen, von dem Benigni nur behaupten kann, es gemacht zu haben. Ja, es war einmal.

Es war einmal ein Schtetl in Osteuropa, das 1941 von Schlomo, seinem Dorftrottel, in helle Aufregung versetzt wurde, weil er berichtete, die Nazis seien im Anmarsch und sie hätten das nächstgelegene jüdische Dorf schon deportiert. Glücklicherweise hat Schlomo nicht nur die schlechte Nachricht, sondern auch die gute Idee: Bevor es die Nazis tun, deportieren wir uns doch lieber selbst. Und zwar nach Palästina.

Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Schließlich braucht man nicht nur zu deportierende Juden, sondern auch Nazis. Und wer will schon ein dreckiger Nazi sein? Einerseits – andererseits hat die SS die eleganten Reisewagen und die anständigen Schtetlbewohner nur die Viehwaggons. Leider stellt sich heraus, daß man nicht einfach so Nazi sein kann. Nein, das muß man sich schon verdienen! Indem man richtig Deutsch sprechen lernt. Merkwürdigerweise. Sind sich Deutsch und Jiddisch so ähnlich? Ob Jiddisch eine Parodie auf das Deutsche ist? Sind die Deutschen womöglich deshalb so sauer auf die Juden, weil die sich jiddelnd über das humorlose Deutsch lustig machen?

Daß die abenteuerliche Fahrt des völlig unfahrplangemäßen Zugs ein gutes Ende findet, das gleichwohl nicht wahr sein kann, merkt man von Anfang an. Es war einmal ein Schtetl ... das es so nie gab. Das stimmt einen am Ende zu Recht traurig. Nachdem man so viel gelacht hat, nicht zuletzt über die kommunistischen Zellen, die der Sohn des Rabbi in jedem Waggon eingerichtet hat und die die Nazis unter den Juden zur Weißglut reizen. Merkwürdigerweise empörte sich in der anschließenden Diskussion eine Besucherin ausgerechnet über diesen Schtetl-Traum.

War pädagogisch irgendwie nicht korrekt. Denn wenn junge Deutsche, die von alldem keine Ahnung haben (warum eigentlich?) das so sehen, könnten sie glauben ... Es stellte sich heraus, daß die wahre, schreckliche Parodie auf das Deutsche, das Jiddisch ohne Humor, das Deutsch dieser Dame war.

Fünftes Jüdisches Filmfest: „Jüdische Männer im Film“, mit acht Spielfilmen und mehreren Dokumentationen, bis zum 24. Juni im Arsenal, Welserstraße 25, Schöneberg