„Bildungspolitische Sackgasse“

■ Der Qualitätspakt dient nur dem Ausbau der Fachhochschulen, meint Vittoria Borsò, Dekanin der Philosophie an der Uni Düsseldorf

taz: Bildungsministerin Gabriele Behler hat den Hochschulen einen Qualitätspakt angeboten, der viel mehr finanzielle Freiheiten verspricht – gleichzeitig schreibt sie ganz präzise Stellenstreichungen vor. Hat Sie das überrascht?

Vittoria Borsò: Der sogenannte Qualitätspakt enthält noch viele bildungspolitische Unbekannten, die möglicherweise den Standort Nordrhein-Westfalen bedrohen –etwa der Abbau der Lehrerbildung an den Unis, der immer deutlicher wird. Die Kürzungsvorgaben der Ministerin bewirken genau das Gegenteil von dem, was im Hochschulpakt angestrebt ist: Sie sind alles andere als demokratisch. Jede Universität ist gezwungen, eine festgelegte Anzahl von Stellen abzugeben.

Aber es wurden Leistungskriterien zugrunde gelegt?

Sicherlich. Aber nehmen Sie die Düsseldorfer Philosophische Fakultät. Alle Fächer sind hier im Durchschnitt zu 175 Prozent ausgelastet. Natürlich ist die Universität frei, die Fakultät nicht zu belangen. Aber glaubt man im Ernst, die Qualität von Wissenschaft und Lehre zu sichern, indem man in dieser Situation streicht?

Frau Behler will mit dem Hochschulpakt die Autonomie der Unis vorantreiben. Geht das?

In Italien wurde diese Art Hochschulautonomie schon vor einem Jahr eingeführt. Sie hat sich dort als Bumerang gegen die Universitäten gewendet. Die müssen die finanziellen Defizite selbst ausgleichen. Und ihre Innovationen müssen sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Das gleiche passiert in Nordrhein-Westfalen mit dem sogenannten flexiblen Haushalt. Schade, denn die Idee der Autonomie ist an sich begrüßenswert. Ich frage mich, ob es der Ministerin wirklich um die Qualität der Hochschullandschaft geht.

Worum sonst?

Das Ganze zielt auf den Ausbau der Fachhochschulen. Die müssen nur halb soviel Stellen abgeben, wie sie laut der Leistungskriterien abgeben müßten. Im Gegenzug sollen die Unis durch berufsbezogene Fertigkeiten den Fachhochschulen angeglichen werden. Das führt in die Sackgasse.

Warum?

Internationale Elite-Unis haben nichts mit Fachhochschulen gemeinsam. Die Elite-Einrichtungen im Ausland haben sich stets an der deutschen Humboldtschen Universität von Forschung und Lehre orientiert. In den Fachhochschulen gibt aber es kaum Forschung.

Welche bildungspolitischen Ziele verfolgt Frau Behler?

Als Textwissenschaftlerin lese ich aus ihren Vorgaben eine Dienstbarmachung der Universitäten für die wirtschaftliche und technische Entwicklung des Landes heraus. Bildungsziele kann ich nicht erkennen. Was ich sehe, ist die Zerstörung von Konzepten, Bildung autonom von ihrem unmittelbaren ökonomischen Nutzen zu definieren.

Was wäre daran so schlecht?

Zur Autonomie der Universitäten gehört es, geistige Werkstätte der Zukunft zu sein. Sie sind wichtig für die Konstitution der Kultur, natürlich auch der Wirtschaft und der Technologien. Bei dem nordrhein-westfälischen Pakt klingt vieles nach Ausbildung mit unmittelbarem Nutzwert für die Ökonomie. Alle emanzipatorischen, systematisierenden und analytischen Lehrinhalte werden nicht in Betracht gezogen.

Wie werden Sie mit dem Pakt umgehen?

Die Auswirkungen möchte ich mir gar nicht erst ausmalen. Aber ich habe Maßnahmen getroffen und unsere Philosophische Fakultät in Profil und Auslastung mit den Nachbaruniversitäten verglichen. Wir stehen gut da: 200 Studenten kommen auf einen Professor – das sind schlechte Verhältnisse, aber für die Evaluation sind sie gut. Außerdem kann die Fakultät trotz der harten Bedingungen Kreativität nachweisen – wie zum Beispiel innovative Studiengänge, Kooperationen zwischen den Fächern oder gemeinsame Forschungsprojekte.

Interview: Isabelle Siemes