Picknick im Doppelpack

Nimm zwei: Ellen von Unwerths neuer Fotoband „Couples“ zeigt lauter Paare auf dem Laufsteg zwischen Kunst, Glamour und Leben  ■ Von Petra Welzel

Als im vergangenen Jahr der Verleger Lothar Schirmer einen Showroom für seine Fotobildbände in München mit Fotografien aus einem Buch von Ellen von Unwerth eröffnete, sagte er: „Die Affinität von Buchbranche und Bekleidungsindustrie liegt auf der Hand: Das Buchregal als Kleiderschrank der Seele ist doch ein hübsches Bild.“ Der Fotoband als Reizwäsche der Seele wäre dann eine schöne Metapher für „Couples“, den neuen Bildband Ellen von Unwerths, einst selbst Fotomodel, heute Fotografin, eine der ganz Großen der internationalen Modefotografie.

Seit Mitte der 80er Jahre entstehen durch Ellen von Unwerths Auslöser Bilder, die jeden Körper und Fummel mit viel Sensibilität zum Fetisch machen, Sonne, Campari-Orange sowie türkisblaues Meerwasser farbecht mischen. Anders gesagt: Ellen von Unwerth komponiert. Ihre Fotografien sind nicht einfach seitenfüllende Aufnahmen für Modemagazine, sondern Bilder, die andere Vorbilder und dann immer ein Tortenstück Gesellschaftszustand reflektieren. 1994 fotografierte sie zum Beispiel für die englische Zeitschrift The Face Winona Ryder für einen Bericht zu ihrem Film „Reality Bites“. Im wahren Leben zeigte sich die damals 22jährige Hollywoodabgesandte der Generation X vorm leeren Kühlschrank, in der Badewanne mit völlig verschmiertem Lidschatten, und schließlich stellte sie den Todesschuß des Nirvana-Sängers Kurt Cobain mit schwarzen Kajalaugenringen nach – was hierzulande vielleicht Franka Potente in der Barschelwanne im Stern gleichkäme.

Auch mit ihren Paaren, den „Couples“ – einer Mischung aus inszenierten Lifestylebildern, Schwarzweißstills und Schnappschüssen –, greift Ellen von Unwerth auf Altbekanntes zurück. „Picknick, Long Island“ heißt da die Fotografie zweier Frauen auf der grünen Wiese, eine weitere Variante auf Eduard Manets „Frühstück im Grünen“.

Ungefähr die Hälfte des Hintergrundes belegt in Unwerths Bild ein schneeweißes Tuch, die andere Hälfte ein saftiger Rasen mit Sonnensprengseln. Das Tischtuch ist gedeckt. Mit Äpfeln, violetten und grünen Weintrauben, drei marmorierten Plastikkaffeetassen, Besteck, einem Edelstahlflachmann im Lederetui, einer silbernen Dose, einem Baguette und frisch gepflückten Kleeblümchen. Dabei lagern die zwei Frauen lasziv teils auf dem Tuch, teils auf der Wiese. Der Kopf der Brünetten im goldenen, mit Blumen applizierten Maxitträgerkleid ruht im Schoß ihrer blondierten Freundin, die zu schwarzer Seidenhose ein weißes Spitzentop trägt.

Besteht das Personal beim Impressionisten Manet noch aus zwei gut betuchten Männern und einer nackten Frau, so ist es bei der Fotografin auf zwei elegant gekleidete Frauen reduziert, deren männliches Objekt der Begierde ein steifes, langes Weißbrot darstellt, welches die Blonde der Brünetten lachend zwischen die bordeauxroten Lippen schiebt. Gern bescheinigt man der Fotografin ob solcher Bilder einen spezifischen „weiblichen Blick“. Selbst der Spiegel, dem man in Sachen Mode, Fotografie und verwandten Dingen nicht allzuviel zutraut, veröffentlichte Anfang letzten Jahres ein Bild Ellen von Unwerths mit der Unterzeile „Frauen-Blick“. Als Pendant mußte mit dem „Männer-Blick“ Helmut Newton herhalten.

Wie auch immer man es betrachtet, die „Couples“ umfassen 352 Seiten, sind schwer wie eine Hochleistungskamera und glänzen abgesehen von einem kurzen Vorwort und einer noch kürzeren Danksagung durch nichts als Paare. Die könnten unterschiedlicher kaum sein und zitieren viel. Mal sind sie schwarzweiß, wirken fast wie Filmstills aus Stummfilmzeiten, andere kommen farbig, schrill und grell daher. Eine junge Frau im Rüschenrock schaukelt wie auf einem Rokokogemälde von Antoine Watteau ins Objektiv; dann wieder gibt es das kopflose Götterpaar von Delos, zwei Säulenheilige der griechischen Klassik. Aber da ist auch die Frau aus Jaisalmer, deren Kind an ihrer entblößten Brust nuckelt, sind der Liliputaner und der Junge am Strand mit Stock, Charme und Melone, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Manchmal sieht man nur zwei Hunde, einmal einen alten Mann und seinen mickrigen Fisch: Paare eben.

Als Waisenkind in Bayern aufgewachsen, lebt Ellen von Unwerth heute mit Tochter und Freund in New York. Ex-70er-Kommunardin, Ex-Nummerngirl beim Zirkus Roncalli: Ellen von Unwerth hatte bereits viel erlebt und gesehen, als sie 1975 nach Paris ging und ihre Karriere als Fotomodell begann. Daß sie dabei weniger das Posieren lernte als den gezielten Einsatz eines Fotoapparates, zeigen ihre eigenen Modefotografien: Ganz nah dran und doch feinfühlig, hocherotisch und doch nicht voyeuristisch waren ihre Aufnahmen von Anfang an. Seither füllen sie die Magazinseiten von Vogue, Vanity Fair, Max, Stern und anderen.

Und damit verhalf sie einem anderen deutschen Fräuleinwunder zur internationalen Karriere. „So deutsch, so sauber“ und „normal, gesund und frisch“ fand die Fotografin Claudia Schiffer. Aber dann entdeckte sie in ihr auch eine Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot, steckte sie in 60er-Bustiers und Bardot-Posen und machte damit aus Schiffer einen Star. Doch während die unlängst zur Berliner Goldelse auf einem Spiegel Special-Cover erstarrt ist, lebt in Ellen von Unwerths Kopf die Phantasie ihrer Bilderwelt weiter. Diesmal mit Menschen im Doppelpack.

Ellen von Unwerth: „Couples“. 352 Seiten, 193 Abbildungen, Schirmer/Mosel Verlag, 58 DM