Europa-Gegner lassen Tony Blair abstürzen

■  Labour unter Schock: Bei nur 23 Prozent Wahlbeteiligung liegt die Partei zehn Prozent hinter den Konservativen. Zum ersten Mal kommen britische Grüne ins EU-Parlament. Schwenkt Blair jetzt auf euroskeptischen Kurs?

Berlin (taz) – Zum ersten Mal hat Tony Blair eine Wahl verloren. Großbritanniens regierende Labour-Partei erzielte bei den Europawahlen mit 28 Prozent der Stimmen in England und Wales ihr schlechtestes Ergebnis seit den finstersten Zeiten des Thatcherismus und steht jetzt unter Schock. Die oppositionellen Konservativen hingegen kamen auf 37,5 Prozent und haben schon lange keine so schöne Wahlnacht erlebt. „Wir sprachen für das britische Volk“, jubelte Parteichef William Hague. „Es will sagen, daß keine weitere Macht mehr nach Brüssel verlagert werden sollte. Es will das Pfund behalten.“

Vor der Europawahl war Hague für seinen Anti-Euro-Wahlkampf kritisiert worden. Nun kann er sich bestätigt fühlen – und nicht nur er: Die „UK Independence Party“ (UKIP), die für den Austritt Großbritanniens aus der EU eintritt, kam aus dem Stand auf 7,6 Prozent der Stimmen und drei Sitze. Die „Pro-Euro Konservative Partei“, eine europhile Splittergruppe des linken Tory-Flügels, errang dagegen nur 1,3 Prozent.

Neben der UKIP gehören die britischen Grünen zu den Wahlsiegern. Sie errangen 6,3 Prozent und damit erstmals zwei Sitze im Europaparlament. Die beiden Neuzugänge zur britischen Parteipolitik sind an entgegengesetzten Rändern des politischen Spektrums angesiedelt, aber teilen einen gewissen englischen Hang zum Exzentrikertum und zur Ablehnung kontinentaleuropäischer Ränkespiele. Die 1993 gegründete UKIP, die vor allem von älteren Leuten auf dem Land gewählt wurde, sieht Großbritanniens Zukunft als die einer am Weltmarkt orientierten und wertemäßig den USA verbundenen Großmacht, wie zu Zeiten des Empire. Das ist eine konservative Version des grünen Wahlkampfslogans „Global denken“, und grüne Wahlkämpfer hatten die UKIP vor den Wahlen als ihren schärfsten Konkurrenten bei Straßenveranstaltungen idenzifiert. Die Grünen konzentrierten ihren Wahlkampf auf die Ablehnung genmanipulierter Lebensmittel und bauten auf die Enttäuschung vieler Labour-Wähler mit New Labours Zentralismus.

Der Labour-Absturz ist vor allem der historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 23 Prozent geschuldet – die niedrigste in der EU. Das war wohl nicht, was die Labour-Partei mit ihrer Wahlparole „Führung in Europa“ meinte. Zurückzuführen ist es vor allem auf den mangelnden Enthusiasmus von Labour-Unterstützern. Während in konservativen Hochburgen durchschnittlich 28 Prozent der Wähler an die Urnen gingen, waren es in Labour-Hochburgen nur 18 Prozent. Ein Grund war, daß die Regierung Blair vor lauter Kosovo-Aufregung vergessen hatte, Wahlkampf zu führen. Wahlkampfleiterin Margaret Beckett machte vor den Wahlen Ferien in Frankreich. Aus Labour-Kreisen war gestern zu hören, die Partei habe sich so daran gewöhnt, zu gewinnen, daß sie verlernt habe, wie man skeptische Wähler überzeugt.

Die niedrige Wahlbeteiligung ist jedoch auch ein Indiz dafür, daß die Briten von der EU immer weniger wissen wollen. Mehrere Meinungsforschungsinstitute ermittelten vor der Europawahl Rekordwerte gegen den Euro unter der Bevölkerung. In der jüngsten, die der konservative Sunday Telegraph am Sonntag veröffentlichte, fand sich sogar kaum noch eine Mehrheit für den Verbleib Großbritanniens in der EU. 41 Prozent waren dafür, während 37 Prozent den Austritt befürworteten.

Es ist nicht auszuschließen, daß der stark an Meinungsumfragen orientierte Tony Blair nun wieder einen schärfer euroskeptischen Kurs fährt. Bisher plant Labour, irgendwann in der spätestens 2002 beginnenden nächsten Legislaturperiode, den Prozeß der Euro-Einführung samt Volksabstimmung zu starten. Aber schon vor der Wahl ließ Blair anklingen, dies müsse gar nicht unbedingt sein.

Das britische Endergebnis wurde für gestern abend erwartet, denn die Stimmen in Schottland und Nordirland sind erst gestern ausgezählt worden. In Schottland wurde ein Sieg der schottischen Nationalisten erwartet. Dominic Johnson