Darf Schreyer noch nach Brüssel?

■ Nach ihrem Europawahlsieg trommelt die Union für einen eigenen EU-Kommissar. Grüne in Rechtfertigungszwang

Bonn (taz) – Über Michael Fuchs reißt man in der grünen Parteispitze zur Zeit gerne Witze. Fuchs ist Präsident des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels und hat neulich den Kanzler dringend davor gewarnt, eine Grüne als EU-Kommissarin nach Brüssel zu schicken. Sein Verband wolle einen Politiker von CDU/CSU auf dem Posten sehen. Er habe bei einer persönlichen Begegnung mit der bündnisgrünen Kandidatin Michaele Schreyer nicht den Eindruck von Fachkompetenz gewonnen, ließ Fuchs die Öffentlichkeit wissen.

Michaele Schreyer, die sich keiner Begegnung mit Fuchs bewußt war, rief ihren Kritiker prompt an. Leider, so wird hämisch in der grünen Parteizentrale erzählt, habe der Herr Fuchs auf Befragen weder den Zeitpunkt des Treffens noch den Anlaß oder das Gesprächsthema nennen können.

So leichtes Spiel wird Michaele Schreyer mit ihren anderen Kritikern nicht haben. Nach einem Verlust von 3,7 Prozent bei der Europawahl am vergangenen Sonntag müssen die Grünen ihren Anspruch auf einen Kommissariatsposten von neuem rechtfertigen. Die Vorsitzenden von CDU wie CSU, Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber, nutzten die zweistelligen Gewinne der Union bei der Wahl, um für einen Kandidaten aus ihren Reihen zu trommeln.

Es sei eine Provokation, wenn Bundeskanzler Schröder als krasser Verlierer der Europawahl zwei Kandidaten aus dem Regierungslager benenne, ohne die Opposition zu berücksichtigen, sagte Stoiber gestern in München. Nach Schröders bisherigen Plänen soll neben Schreyer voraussichtlich Staatsminister Günther Verheugen von der SPD nach Brüssel gehen, die Konservativen würden dann leer ausgehen. Für die CSU brachte gestern ihr Generalsekretär Thomas Goppel den Ex-Gesundheitsminister Horst Seehofer als möglichen Kandidaten ins Spiel, aus der CDU wird die Debatte mit dem Hinweis auf Ex-Verkehrsminister Matthias Wissmann angefacht.

Mit dem Ergebnis vom Sonntag hat sich zugleich die Strategie der Union geändert. Zu Anfang konzentrierte sich die Kritik an Schröders Personalpaket auf die fachliche Qualifikation von Michaele Schreyer. „Quotenfrau“ und „zweite Garnitur“ lauteten die Schlagworte. Mit fast fünfzig Prozent der abgegebenen Wählerstimmen im Rücken erklärte jetzt Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm, ein Brüssel-Posten für die Union sei vor allem ein Gebot der politischen Fairneß. Soll etwa, so Blüms Argumentation, die stärkste deutsche Kraft bei der Europawahl in Brüssel leer ausgehen?

„Europäischer Gerichtshof, OSZE, Europarat, Rechnungshof.“ Überall säßen dort Vertreter von CDU und CSU, versuchte gestern die grüne Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Heide Rühle, die Macht der Mathematik zu entkräften. Auch sei die grüne Europafraktion insgesamt gestärkt worden, trotz der deutschen Verluste.

Ob sich die Grünen durchsetzen können, hängt letztlich vom Kanzler ab. Hält Gerhard Schröder sich an die Vereinbarung, den Grünen einen Kommissariatsposten zu überlassen, weil sie Johannes Rau zum Bundespräsidenten wählten? Die grüne Parteichefin Gunda Röstel antwortet: „Ich habe die Zusage von Bundeskanzler Schröder als bindend aufgenommen.“

Patrik Schwarz