Gegen die schweigende Mehrheit

■ „Vom Nullpunkt“ fangen die oppositionellen Belgrader „Frauen in Schwarz“ wieder an, gegen das Regime zu protestieren

„Verhandlungen statt Krieg“ hatten sie auf ihre Plakate geschrieben, eine Woche bevor die Nato-Angriffe begannen. Es war der letzte Auftritt der Oppositionsgruppe „Frauen in Schwarz“ in Belgrad, bevor auch sie sich vor den Bomben zurückzogen. „Der Slogan erinnerte die Leute an den Ausbruch des zweiten Weltkrieges“, erklärt Zorica Trifunovic, „damals wurde mit Krieg statt Verhandlungen mobilisiert.“ Nach acht Jahren Mahnwachen gegen das nationalistische Regime, mit T-Shirts gegen den Militarismus und Flugblättern gegen die Vertreibungen im Kosovo schwiegen die „Frauen in Schwarz“.

Die sichtbare Wirkung war allerdings gleich der tibetischer Mönche in deutschen Fußgängerzonen; an das mahnende Trüpplein von zehn bis 20 Personen, Frauen und einzelne junge Kriegsdienstverweigerer, hatten sich die Passanten gewöhnt. Nicht wenige beschimpften sie mit dem ewigen Reim der Nationalisten: Vom CIA bezahlt, Verräterinnen, Hexen. Die Medien machten die Musik dazu: „Nach unseren Aktionen wurden wir regelmäßig in einer Rundfunksendung diffamiert, es war ein Ritual,“ sagt Trifunovic. Die meisten Passanten aber schwiegen. „Das Schweigen der Mehrheit aus der sozialistischen Zeit ist übergegangen in das Schweigen der Mehrheit in der nationalistischen Zeit,“ meint sie. „Es ist die Angst.“

Nach dem Krieg fange die demokratische Kultur wieder am Nullpunkt an, sagen die serbischen Frauen, die zur Zeit in Berlin sind. „Auch von der Opposition werden wir marginalisiert“, sagt die Soziologin arana Papic, „es gibt jetzt keine antinationalistische Oppositionspartei mehr.“

Graswurzelarbeit: Die „Frauen in Schwarz“ organisieren neben ihren Protesten und der Beratung für Kriegsdienstverweigerer auch Workshops für Frauen: „Wir wollen den Frauen klarmachen, daß sie etwas tun können, sich organisieren können“ sagt Trifunovic. Zudem versuchen sie, Verbindung zu Oppositionellen in den kleinere Städten aufzunehmen. „Im Moment ändert sich alles täglich,“ sagt Trifunovic, „als wir am Donnerstag nach Berlin losfuhren, hörte ich im Radio zum ersten Mal Kritik von Oppositionellen an Miloevic.“ Und auch das Häuflein der „Frauen in Schwarz“ wird wieder auf die Straße gehen, diesmal vielleicht wirklich vom Westen unterstützt. Heide Oestreich